Interview mit Wolters Kluwer zum Thema „Die Zukunft des juristischen Arbeitens“
Seit Mitte September ist mit wolterskluwer-online.de ein neues Portal für die juristische Praxis auf dem Markt. Wolters Kluwer Deutschland setzt damit einen wichtigen Meilenstein in der neuen Strategie seines Geschäftsbereichs Recht und Verwaltung. Gleichzeitig kündigt das Unternehmen bereits neue Funktionalitäten und innovative Expertenlösungen an.
Das Legal Tech Verzeichnis sprach mit Martina Bruder, CEO von Wolters Kluwer Deutschland, und den Geschäftsführern Legal, Stephanie Walter und Christian Lindemann.
LTV: Frau Bruder, Sie haben eine neue Strategie für Ihren Geschäftsbereich Legal entwickelt und sind bereits in der Umsetzung. Was sind die wichtigsten Eckpunkte dieser Strategie?
Bruder: Im Zentrum unserer Strategie steht die Fokussierung auf unsere Kernstärken: inhaltliche Kompetenz in klar definierten Rechtsgebieten, die tief in unserer verlegerischen Tradition verankert sind, die Technologiekompetenz unseres internationalen Unternehmens und unser profundes Wissen über die Arbeitsabläufe in Kanzleien, Rechtsabteilungen, Notariaten und in der Öffentlichen Verwaltung. Aus diesen Stärken heraus entwickeln wir gemeinsam mit unseren Kunden neue Produkte und digitale Services für die tägliche juristische Arbeit. Wir verabschieden uns deshalb davon, möglichst alle Rechtsgebiete inhaltlich abzudecken, sondern fokussieren uns auf unsere marktführenden Inhalte und bauen diese weiter aus. Gleichzeitig entwickeln wir neue digitale Produkte, die direkt die Fallbearbeitung unterstützen, und setzen so neue Maßstäbe für die Zukunft des juristischen Arbeitens.
LTV: Welche Rechtsgebiete stehen künftig im Fokus?
Walter: Unserer verlegerischen Tradition folgend ist Carl Heymanns eng verknüpft mit dem Rechtsgebiet des Gewerblichen Rechtsschutzes, Insolvenzrecht und Notarrecht. Werner steht praktisch synonym für Baurecht. In der Öffentlichen Verwaltung ist Luchterhand hochrelevant für die Sozialgesetzgebung und weitere Rechtsgebiete. Diese Fokusinhalte bauen wir weiter aus und ergänzen sie um ein sinnvolles Basis- und Komplettpaket für den Allgemeinanwalt und die Mitarbeiter und Juristen in der Verwaltung.
Bruder: Diese Fokussierung auf marktführende Inhalte erlaubt uns auch, noch enger an unseren Kunden zu sein. Das spiegelt beispielsweise unser neues Portal für die juristische Praxis wider: wolterskluwer-online.de bietet ein umfassendes Angebot für die tägliche Arbeit in Recht und Verwaltung.
Walter: Im Mittelpunkt stehen alle unsere führenden Inhalte, die im Shop bestellbar und direkt digital nutzbar sind, unterlegt mit einer modernen Recherche, die viele praxisnahe Vorteile bietet.
LTV: Was macht diese Recherche aus?
Lindemann: Zum Start umfasst die Recherche bereits mehrere Funktionalitäten, die unmittelbar die Mandats- und Fallbearbeitung unterstützen. Der Versionsvergleich beispielsweise ordnet Gesetzesfassungen nebeneinander an, so dass Änderungen auf einen Blick erkennbar sind. Mit Dual View lassen sich verlinkte Inhalte aus allen abonnierten Quellen direkt neben dem aktuell bearbeiteten Dokument anzeigen. Textteile, Urteile, Zitierungen und Dokumente können während der Recherche in Dossiers gesammelt werden und per drag & drop für die jeweilige Akte sortiert werden.
Walter: Noch 2018 kommen weitere Funktionalitäten hinzu. Dann erhalten Nutzer auf Wunsch automatisch eine Benachrichtigung, sobald zu abonnierten Inhalten neue Auflagen oder Ausgaben erscheinen. Auch wird es möglich sein, beliebig viele Anmerkungen an jeder gewünschten Stelle im Dokument einzufügen.
LTV: Das klingt zwar sehr gut, aber noch nicht nach einer grundlegenden Revolution der Recherche…?
Lindemann: Wir arbeiten bereits an einer neuen Suchfunktion, die ein zentrales Problem lösen wird: Bisher geben Anwälte bei der Suche nach Urteilen in der Regel Stichworte ein – und erhalten dann eine lange Liste mit Entscheidungen, von denen viele nur rudimentär mit ihrem Sachverhalt zusammenhängen. Bei unserer Ähnlichkeitsanalyse geben Anwälte dagegen den Sachverhalt in die Suchmaske ein – und bekommen dann ausschließlich Urteile angezeigt, die auf vergleichbaren Sachverhalten beruhen. Das wird ihnen viel Zeit sparen. Wenn die Software Urteile mit ähnlichen Sachverhalten herausfiltert, kann sie zugleich ermitteln, wie die Entscheidungen ausgefallen sind – und auf dieser Basis eine bedingte Erfolgswahrscheinlichkeit für den jeweiligen Rechtsstreit ermitteln.
Walter: Darüber hinaus wird unser Programm auswerten, welche Besonderheiten und Argumente den Ausgang eines Rechtstreits in der Vergangenheit beeinflusst haben. Die Prognosefunktion hilft Anwälten also nicht nur bei der Entscheidung, ob sie vor Gericht ziehen oder lieber einen Vergleich anstreben sollen, sondern auch dabei, ihre Argumentation zu schärfen.
LTV: Was macht Sie so sicher, dass Sie derartige Entwicklungen umsetzen können?
Bruder: 87% unseres weltweiten Umsatzes von 4,4 Mrd. Euro machen wir mit Digital & Services. Das untermauert unsere internationale Technologiekompetenz. Weltweit arbeiten bei Wolters Kluwer mehr als 1000 Spezialisten allein in der Forschung und Entwicklung von Technologien – vom Programmierer über Spezialisten für User Experience oder Anwendungsentwicklung bis hin zu Experten für Computerlinguistik und Artificial Intelligence. Das ermöglicht uns die Entwicklung marktreifer digitaler Lösungen und Komponenten.
LTV: Wenn Ihre Kunden künftig auf wolterskluwer-online.de recherchieren, was passiert dann mit Ihrer Rechercheplattform Jurion?
Lindemann: Alle Jurion-Kunden können kostenfrei zu wolterskluwer-online.de wechseln und ihre abonnierten Inhalte und Online-Module unmittelbar und wie gewohnt weiter nutzen. Wir gewährleisten einen sicheren Übergang, auch indem wir Jurion nicht sofort abschalten.
Bruder: Es ist wichtig zu betonen, dass wolterskluwer-online.de mehr ist als eine Rechercheplattform wie Jurion. Wir haben ein Portal entwickelt, über das unsere Kunden auf alle unsere Inhalte zugreifen können: sowohl als Buch oder Zeitschrift im Shop bestellbar als auch direkt digital über die Recherche nutzbar. Zudem finden sie hier den direkten Zugang zu unseren effizienten Softwarelösungen wie Annotext, die Cloud-Lösung Kleos, effacts für Unternehmensjuristen und viele mehr. Und gleichzeitig arbeiten wir bereits intensiv an innovativen Expertenlösungen, die direkt die Fallbearbeitung unterstützen.
LTV: Was sind das für innovative Expertenlösungen, können Sie ein Beispiel nennen?
Bruder: Wir entwickeln in enger Zusammenarbeit mit unseren Kunden digitale Lösungen, die unmittelbar die Arbeitsabläufe in der juristischen Tätigkeit erleichtern. Als Pilot starten wir ersten Quartal 2019 mit einem Produkt für Baurecht.
Lindemann: Anwälte im Baurecht kämpfen bei fast jedem Fall mit Kofferraumladungen von Dokumenten. Wer hat wann was beauftragt, gerügt und erwidert? Gerade bei größeren Bauprojekten ist es ein riesiger Aufwand, die Dokumente zu strukturieren. Das übernimmt dann die automatische Dokumentenanalyse in unserem Legal Case Management (Workflow).
Walter: Unsere Expertenlösung für Baurecht strukturiert Dokumente und extrahiert die relevanten Daten, zum Beispiel Personen und deren Rollen, Datumsangaben, die Art eines Vorgangs und das betroffene Gewerk. Alle Dokumente werden dann mithilfe eines Zeitstrahls aufbereitet. Das ist besonders im Baurecht sehr wichtig, um keine Fristen zu verpassen. Zudem finden Anwälte Dokumente, die sie suchen, sehr viel schneller.
Lindemann: Auch im weiteren Prozess wird diese Expertenlösung die Arbeit erleichtern. So können Anwälte per Klick Urteile abrufen, die der Gegner im elektronischen Dokument zitiert. Zudem unterstützt unsere Komponente zur Dokumentenautomatisierung bei der Erstellung von Rechtsdokumenten, zum Beispiel einer Mängelrüge oder häufig genutzter Schriftsätze.
LTV: Wir sind gespannt. Vielen Dank für das Interview!