Fachartikel

Gastkommentar von Rechtsanwalt Jörg Schachschneider zum Fremdbesitzverbot an Anwaltskanzleien

Nachstehend finden Sie mein inhaltlich nicht nachbearbeitetes Manuskript meines Vortrags vom 19.1.24 in der Humboldt Universität zu Berlin zum Fremdbesitzverbot an Rechtsanwaltskanzleien. Das Fremdbesitzverbot ergibt sich aus § 27 BORA, § 59 i (III) BRAO. Anlass der Veranstaltung des Instituts für Anwaltsrecht der Humboldt Universität war ein Vorlagebeschluss des Anwaltsgerichtshofs München (AGH, Beschl. v. 20.4.2023, Az. BayAGH III-4-20/21) an den EuGH zur Klärung der Frage, ob das Fremdbesitzverbot mit EU-Recht vereinbar sei, insbesondere mit der Freiheit des Kapitalverkehrs, der Dienstleistungsfreiheit und der Niederlassungsfreiheit.

Trotz im Publikum zahlreicher Vertretung der Profiteure von Fremdbesitz – Rechtsschutzversicherer und Legal-Tech-Lobbyisten (damit vielen Dank für die Bestätigung meines Vortrags in diesem Punkt!) – kam da auf den Inhalt meines Vortrags fast gar nichts. Offensichtlich kannte man die Fragen und Antworten nicht – weil man den Redner nicht kannte. Alternative: Man hat die Abschaffung des Fremdbesitzverbotes schon in der Tasche – einerlei ob auf EU- oder Bundesebene – und braucht sich Kritik deswegen nicht mehr zu stellen.

Die Frage „Cui bono?“ (Cicero), wem nützt eine Aufhebung des Fremdbesitzverbots an Rechtsanwaltskanzleien, ist eine klassische Frage, die auch hier weiterhilft. Klar können und sollen neue Player in den Markt eintreten dürfen. Aber die Besonderheiten (höchst)persönlicher, sehr vertraulicher Dienstleistung, der durch Legal Tech generierte leads (vertrauliche Datensätze, die auch gehandelt werden) nicht förderlich sind, sind doch zu berücksichtigen. Art. 12 GG fragt nach schützenswerten Gütern und wägt diese ab. Und aus meiner Sicht überwiegen da die Interessen der Mandantinnen an Verschwiegenheit und Unabhängigkeit anwaltlicher Leistung, weswegen es das Fremdbesitzverbot ja gibt. Mandanten kommen bei Legal-Tech-Unternehmen und Rechtsschutzversicherern nur als Stör- und Kostenfaktoren vor. Wer also profitiert vom Fremdbesitzverbot an Rechtsanwaltskanzleien? Die Mandanten!

Der Vortrag

Hier nun mein Vortrag inklusive Epilog vom 19.1.24:

Wer braucht denn überhaupt Fremdbesitz an RA-Kanzleien? Der Wunsch nach Fremdbesitz an Rechtsanwaltskanzleien kommt doch gar nicht aus der Anwaltschaft, selbst wenn ich die jüngste, sehr eindeutige Umfrage von BMJ/BRAK (Tenor: Es gibt keinen Bedarf danach) dazu mal außen vor lasse. Der Wille, sich ausgerechnet an Anwaltskanzleien zu beteiligen, der kommt doch aus ganz bestimmten interessierten Kreisen, und das sind keine Kapitalanleger! Die Forderung nach der Zulassung von Fremdbesitz, die kommt von Rechtsschutzversicherungen, von Banken, die sich gerne Rechtsanwaltskanzleien als nützliche Haustiere, als Nutztiere halten wollen. Der Wunsch kommt und wird intensiv lobbyiert auch von Anbietern derzeit sehr teurer Produkte aus dem Legal-Tech-Bereich, die nur so eine Chance sehen, Ihre teuren Produkte verkaufen zu können und sich wenigstens (wenn schon Bezahlung nicht möglich ist) mit einer Beteiligung entlohnen lassen wollen, besser als nichts. Mir sind keine Dienstleistungs-Branchen bekannt, die sich für Ihre Leistung statt mit Geld mit Gesellschaftsanteilen bezahlen lassen wollen – denn wovon leben die denn in der Zeit, bis irgendwann die Gewinne nur so sprudeln? Auch von Fremdbesitz bei Ihnen selbst?

Aber wollen wir wegen eines so engen und temporalen Ausnahmetatbestandes einen fundamentalen, aus sehr guten Gründen bestehenden Grundsatz ändern? Temporal – nee, damit meine ich nicht den uralten Witz mit den Pferdekutschen und den Automobilen von 1907, und auch nicht den heutigen Witz mit Benzinern und E-Autos, der diametral anders ausgehen wird. Legal-Tech-Lösungen zu implementieren ist momentan noch sehr teuer. Ungefähr so, wie es ein funktionierender Online-Shop vor 20 Jahren war. Heute kann aber jeder für 10,- Euro im Monat maßgeschneiderte Shop-Lösungen mieten. Solche Entwicklungen wird es auch bei Legal-Tech-Modellen geben. Deswegen beeilt sich diese Branche ja auch, ihre Produkte möglichst schnell zu verkaufen. Vielleicht dauert es auch gar nicht mehr lange, und selbst so eine technische Pfeife wie ich kann so etwas mit Hilfe von KI programmieren und betreiben lassen.

Und RA, die mit Legal Tech die Riesenkohle ihres Lebens machen möchten – na die verlassen doch mit der Gründung einer stinknormalen, wirtschaftlich tätigen GmbH sowieso die Anwaltsposition und das anwaltliche Berufsrecht. Machen die das denn wegen des Fremdbesitzverbots? Sicher nicht!

Die wenigen Rechtsanwaltskanzleien, die tatsächlich als Rechtsanwaltskanzlei in den Legal-Tech-Markt einsteigen möchten – das sind dann Start-ups in einem einzigen Segment der besonderen Form rechtsanwaltlicher Tätigkeit. Nur deswegen, wegen Ausnahmetatbeständen, ist doch aber nicht das Fremdbesitzverbot aufzuheben oder zu ändern. Zumal es nach Aussage einiger doch sowieso jenseits des Fremdbesitzes legale Konstruktionen geben solle – wo ist also das Problem?

Um dem Vorwurf zu begegnen, ich würde die Interessen der Verbraucher, des Rechtspublikums vernachlässigen:

a) Der vielbeschworene Zugang zum Recht: Ich kann nicht erkennen, dass der mit Legal Tech erleichtert würde. Wenn Sie sich mal die Eingabemasken ansehen, dann stellen Sie fest, dass diese Formulare auch nur bedingt selbsterklärend sind und dass Sie deutlich mehr Zeit dafür aufwenden müssen, als wenn Sie einfach mich anrufen würden!

b) Ich sehe schon seit langem die meisten Mandanten gar nicht mehr in meiner Kanzlei. Eigentlich nur noch die, die mich in den Stutzer-Klamotten auf einem Internet-Bild gesehen haben und partout mal einen aus der Zeit Gefallenen in vitro sehen möchten. Von zeitaufwendigen Besuchen beim Rechtsanwalt im Gegensatz zum Internet kann also keine Rede sein.

Was ist denn das Geheimnis des Erfolgs einiger Legal Tech Unternehmungen? Doch nur das, dass der Rechtsuchende im Mißerfolgsfall nichts zu bezahlen braucht, nichts anderes als das Credo des risikoscheuen Deutschen! Erfolgshonorar ist etwas, was RA erst seit kurzem und grundsätzlich nur bis 2000,- Forderungswert vereinbaren dürfen. Die Mandanten lassen sich auch das nur winzigste Risiko, wie z.B. bei Flugverspätungsfällen mit Erfolgsgarantien von 99 % völlig überteuert abkaufen. Zudem geben Verbraucher noch Ihre kompletten Daten preis und in sogenannten leads, die Legal Tech Unternehmen erzeugen, zum freien Handel frei. Und wissen Sie, was bei den meisten Legal Tech Unternehmen die wichtigste Frage ist? „Sind Sie rechtsschutzversichert?“ Und nicht skalierbare Fälle wie z.B. der 180 kg schwere Flugpassagier, der mit seinem Gipsbein in der Flugzeugtür stecken bleibt, werden grundsätzlich abgelehnt. Die landen dann bei mir, danke für nichts.

Beispiel Interessenkonflikte: Für Verbraucher ungünstige, für Legal-Tech-Unternehmen aber günstige Vergleichsabschlüsse, wenn dadurch ein teures Sachverständigengutachten verhindert wird. In den meisten AGB der Legal Tech Unternehmen steht das drin, dass die Zustimmung der Verbraucher zu Vergleichen grundsätzlich nicht benötigt wird. Es zählt alleine die Gewinnbilanz der Unternehmen, die Interessen der Verbraucher sind absolut zweit- und drittrangig! Mandanteninteressen sind lediglich Kostenfaktoren, weiter nichts.

Ich stelle fest: Es gibt weder Anlaß noch Bedarf, am Fremdbesitzverbot zu rütteln.

Aber wenn Sie mich fragen, wie der Vorlagebeschluß des AGH München nach europäischen Normen beschieden werden wird – ich weiß es nicht. Es kann gut sein, daß Sie, lieber Herr Römermann, in einer Fortsetzung dieser Veranstaltung im nächsten Jahr hier sitzen und „Ätsch“ sagen könnten. Na bei 3:1 möchte ich Ihnen wenigstens eine Stichwaffe in die Hand drücken.

Zur sogenannten Schwachstelle derjenigen, die Fremdbesitz an RA-Kanzleien ablehnen: Es wird häufig gesagt, dass ein Bankkredit zur Finanzierung ja genauso abhängig mache wie Fremdbesitz.

a) Das ist nicht zutreffend. Denn ein Kredit an Ihre Kanzlei hat ja völlig andere Auswirkungen, als wenn eine Firma bei Ihnen Gesellschafter ist, den Sie nie mehr loswerden können.

b) Ein Investor will ja nicht nur eine Gewinnausschüttung. Nein, er will eine Steigerung des Wertes seines Investments erreichen, um seinen Anteil mit Gewinn weiter zu verkaufen oder beleihen können. Darin liegt ein sehr gravierender Unterschied zu einem Bankdarlehen! Denn ein Kreditinstitut begnügt sich mit der Tilgung von Darlehen und Zins, und das wars. Eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung an einer RA-Gesellschaft ist mithin mit einem simplen Kredit, den eine solche RA-Gesellschaft aufnimmt, überhaupt gar nicht zu vergleichen! Deswegen trifft das Argument, daß eine kreditnehmende Kanzlei in gleicher Weise seine Unabhängigkeit verlöre wie eine solche Kanzlei, die sich einen Fremdbesitzer hineinholt, überhaupt gar nicht zu. Der Vergleich von Fremdbesitz mit Kreditfinanzierung ist deswegen auch nicht die Schwachstelle derjenigen, die Fremdbesitz an Kanzleien ablehnen, sondern ein Scheinargument der Befürworter von Fremdbesitz.

c) Und ein nicht zu unterschätzender Unterschied zwischen Kredit und Fremdbesitz. Einen Kredit ist man mit der Rückzahlung los. Einen Fremdbesitzer werden Sie niemals mehr los! Und mal im Ernst, einen Kredit, den eine Kanzlei nicht innerhalb von fünf Jahren zurückzahlen kann – da stimmt doch das Konzept sowieso nicht, so daß sich auch kein Fremdbesitzer finden würde.

Und im weiteren: Fremdbesitz, der durch Erwerb von Gesellschaftsanteilen entsteht, dient in den wenigsten Fällen als simple Geldanlage. In allererster Linie dient der Einstieg von Neu-Gesellschaftern dazu, Interessen zu bündeln, Synergien zu schaffen – wer also Fremdbesitz damit verteidigt, dass es ein dringend benötigtes Finanzierungsinstrument sei, liegt völlig falsch bzw. vermittelt eine Begründung, die nicht trägt!

Und als Investoren würden doch reine Kapitalanleger und damit Finanzierer nicht ausgerechnet in eine Anwaltskanzlei einsteigen, das ist doch völlig absurd. Einsteigen würden nur solche Gruppen, die spezielle Interessen exakt am Rechtsdienstleistungsmarkt haben, z.B. weil sie als Leistungsträger (wie Rechtsschutzversicherer, Prozeßfinanzierer) erhebliche Ausgaben in diesem Markt tätigen und das natürlich senken möchten – zum Vorteil der Mandanten? Wohl kaum!

Es gibt doch einige „Verbraucherkanzleien“ – wie haben die es denn ohne Finanzierung durch Fremdbesitz geschafft? Fremdbesitz ist als Finanzierungsinstrument, als dass es von den Befürwortern verkauft wird, gänzlich ungeeignet! Fremdbesitz ist kein Finanzierungsinstrument, sondern ein Instrument, um Einfluss auf Kanzleien zu nehmen, von bestimmten Interessengruppen, und sicher nicht zum Vorteil des Rechtspublikums.

Die Gründe, warum es das Fremdbesitzverbot an Rechtsanwaltskanzleien überhaupt gibt – ja, die sind doch nicht plötzlich weggefallen, nur weil eine einzige Branche mit großem Finanzbedarf namens Legal Tech auf dem Markt erschienen ist! Sämtliche Papiere dazu weisen den Bezug zu Legal Tech auf – aber deswegen ändert man doch nicht das Berufsrecht für alle!

Die Vermeidung von Interessenkonflikten und Unabhängigkeit der Rechtsanwälte sind doch nicht plötzlich obsolet geworden. Man stelle sich vor, wenn sich Investmentfonds, Heuschrecken wie Bridgewater oder Blackrock an Großkanzleien beteiligen. An Großkanzleien, die große Verfahren gegen Konzerne führen, Konzerne, an denen Blackrock ebenfalls Beteiligungen hält – halten das Befürworter denn tatsächlich für eine tolle Sache? Profitieren Verbraucher davon? Dem kann aus meiner Sicht auch nicht mit gesellschaftsrechtlichen Gestaltungen begegnet werden. Denn solche Gestaltungen sind kaum bis gar nicht handhabbar, und was auf dem Papier steht, dürfte sich im Alltag ganz anders auswirken.

Die Unabhängigkeit der Rechtsanwaltschaft ist ein sehr hohes Gut und von verfassungsrechtlichem Rang. Denn ohne unabhängige RA gibt es auch keinen Rechtsstaat!

Epilog

Auch wenn die Befürworter von Fremdbesitz an Rechtsanwaltskanzleien die rosarote Brille aufsetzen bzw. anderen die rosarote Brille aufsetzen wollen, werden aus Eisbären keine Himbeeren. Vielen Dank!

Ein Gastkommentar von: Rechtsanwalt Jörg Schachschneider, Vorstandsmitglied Berliner Anwaltsverein, Mitglied der Satzungsversammlung bei der Bundesrechtsanwaltskammer

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