Fachartikel

Fortschritt und Herausforderungen – Digitale Transformation der Justiz im Fokus des 32. EDV-Gerichtstags

Vom 13. – 15. September beleuchtete der 32. EDV-Gerichtstag unter dem Motto „Digitaler Rechtsstaat“ die Entwicklung der digitalen Transformation im Justizwesen. Das Forum diente als Bühne zur Präsentation des derzeitigen Fortschritts und als Katalysator für zukunftsweisende Debatten über die anstehenden Phasen der Neugestaltung der Justiz.

Der 32. Deutsche EDV-Gerichtstag in Saarbrücken zeichnete sich durch eine Zusammenkunft von Akteuren der Judikative, Wissenschaft und Wirtschaft aus, die sich dem Ziel der Revolutionierung der Justiz durch Digitalisierung und den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) verschrieben haben. Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit hebt nicht nur die Bedeutung der aktuellen Fortschritte hervor, sondern auch die Vision einer modernisierten Justiz, die durch zukunftsorientierte Ansätze, vernetzte Expertise und adaptive Innovationen transformiert werden soll.

In den Räumlichkeiten der Universität des Saarlandes konnte man eine beeindruckende Vielfalt an innovativen KI-Systemen bestaunen. Von Einblicken in bekannte Anwendungen wie „FRAUKE“, „OLGA“ oder „Codefy“, die bereits von der Justiz eingesetzt werden, bis hin zu Erörterungen über die etwaige Verwendung von generativen Sprachmodellen – die Veranstaltung wies ein breites Spektrum an aktuellen und potenziellen Entwicklungen in der KI-Justizlandschaft auf.

Darüber hinaus wurden neben Digitalisierungsinitiativen wie der Einführung elektronischer Akten und Postfächer auch weitere bahnbrechende Fortschritte präsentiert. Hierzu zählen etwa die neuen Automatisierungstools zur Anonymisierung von Gerichtsurteilen, die erhebliche Möglichkeiten zur Ausweitung der Gerichtsöffentlichkeit bieten. Vorgestellt wurde die strukturelle Förderung von KI-Projekten durch Denkfabriken und Pilotprojekte, die ein solides Fundament für eine technologisch fortschrittliche Justiz schaffen. Zudem standen Ideen zur Digitalisierung des Gesetzgebungsprozesses, Entwicklungen rund um ein digitales Akteneinsichtsportal sowie die Integration agiler Entwicklungsmethoden, die flexiblere und effizientere Projektumsetzungen ermöglichen, im Fokus der Gespräche. All dies unterstreicht den paradigmatischen Wandel der Justiz in Richtung eines „court as a service and not as a place“.

Die Integration von KI in der Justiz

Die Debatten des EDV-Gerichtstags drehten sich insbesondere um die Integration von KI in die täglichen Arbeitsabläufe der Justiz. Eindrucksvoll war der Moment, als im voll besetzten Audimax fast jeder die Hand auf die Frage hob, wer bereits Erfahrungen mit generativer KI gesammelt hatte – eine Reaktion, die hauptsächlich von einem Publikum aus Richtern kam. Dieses Zeugnis kollektiver Erfahrung und des Interesses war ein unmissverständliches Zeichen dafür, dass die Ära der KI in der Justiz nicht nur begonnen hat, sondern bereits deutlich an Fahrt gewinnt.

Trotz der unbestreitbaren Vorteile, die die Integration von KI in der Justiz mit sich bringt, wurden aber kritische Ansichten nicht vernachlässigt. Innerhalb vieler der Diskussionsrunden standen verfassungsrechtliche und einfachrechtliche Risiken regelmäßig im Mittelpunkt. Jedoch bleibt die Ausarbeitung klarer Strategien für den Einsatz von KI in der Justiz, die eine Balance zwischen technologischem Fortschritt und der Integrität des Justizsystems sicherstellen, eine weiterhin offene Aufgabe.

Plädoyer für mehr finanzielle Unterstützung

Ein zentraler und immer wieder thematisierter Diskussionspunkt während des EDV-Gerichtstags war die dringliche Notwendigkeit substanzieller Investitionen in Forschung und Entwicklung. Die Umsetzung visionärer, aber essenzieller Projekte – wie die Etablierung eines bundesweiten KI-Portals oder die Entwicklung eines „Large Language Models“ speziell für den Justizsektor – stellt zweifellos eine finanzielle Herausforderung dar.

Dabei erfordert nicht nur das Training von KI-Modellen auf Basis neuronaler Netze einen beträchtlichen finanziellen Aufwand. Auch die Errichtung einer robusten Infrastruktur, die eine reibungslose Implementierung und effektive Nutzung dieser innovativen Technologien unterstützt, ist mit erheblichen Investitionen verbunden. Diese finanzielle Förderung ist ein unerlässlicher Hebel, um die Justiz auf die nächste Stufe der Digitalisierung zu katapultieren, und ist ein entscheidender Baustein für die Modernisierung der Justizlandschaft.

Die Rolle des Datenrechts

Trotz des generellen Optimismus bzgl. der digitalen Transformation der Justiz zeigte sich aber deutlich, dass einige kritische Themenbereiche noch nicht die gebührende Aufmerksamkeit erhielten. Besonders bemerkbar war dies bei der Behandlung des Datenrechts, das allenfalls am Rande der Diskussionen Berücksichtigung fand.

Die Nutzung von Justizdaten für die Entwicklung von KI wirft komplexe, datenrechtliche Fragen auf, die einer gründlichen Auseinandersetzung bedürfen. Die Tragweite dieser Fragen erstreckt sich tief in die Bereiche des Datenschutz-, Urheber- und Geheimnisschutzrechts und erfordert ein koordiniertes Vorgehen, um potentielle Fallstricke und Hindernisse erfolgreich zu navigieren.

In dieser Hinsicht könnte der Justizsektor möglicherweise von den regulatorischen Diskussionen im Gesundheitssektor profitieren. Dabei soll die Weiterverwendung von Gesundheitsdaten künftig auf EU-Ebene durch eine Verordnung über den europäischen Gesundheitsdatenraum (sog. „European Health Data Space“) und auf nationaler Ebene durch ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz vereinfacht werden. Außerdem existiert seit 2022 im Land Schleswig-Holstein mit dem „IT-Einsatz-Gesetz“ ein erster Rechtsrahmen, der den Einsatz von KI in der Verwaltung reguliert.

Vergleichbare Gesetzesvorhaben im Justizsektor könnten zur rechtssicheren Nutzung von Justizdaten beitragen, während gleichzeitig die betroffenen Interessen und Werte angemessen geschützt werden. Es bleibt zu hoffen, dass auf dem nächsten EDV-Gerichtstag diese kritischen und dringlichen Fragen ausgiebiger diskutiert werden. Entsprechende Regulierungsbemühungen könnten einen entscheidenden Schub für die digitale Transformation der Justiz bedeuten.

Fazit

Der 32. Deutsche EDV-Gerichtstag belegte die rasante Entwicklung der KI in der Justiz. Die digitale Transformation ist aber noch nicht abgeschlossen und es bleibt mit Spannung zu beobachten, wie sich dieser Sektor in den kommenden Jahren entwickeln wird. Mit der Vorfreude auf den 33. Deutschen EDV-Gerichtstag bleibt die Hoffnung, dass dort die noch offenen Rechtsfragen und Herausforderungen hinsichtlich der Weiterverwendung von Justizdaten mehr Aufmerksamkeit erlangen werden.

Autor: John-Markus Maddaloni ist Volljurist und Doktorand bei Professor Thomas Riehm am Lehrstuhl für Deutsches und Europäisches Privatrecht, Zivilverfahrensrecht und Rechtstheorie an der Universität Passau. Zudem arbeitet er als juristischer Mitarbeiter bei Freshfields Bruckhaus Deringer im Bereich Data & Tech.

- WERBUNG -