Erobert KI jetzt auch die Rechtsabteilung?
Das Thema ist nicht neu, aber dank des weltweiten Medienhypes um ChatGPT ist Künstliche Intelligenz derzeit in aller Munde, und viele Menschen machen sich Gedanken darum, welche Auswirkungen die Weiterentwicklung von KI auf ihre Arbeit haben wird. Im Interview mit Patrick Prior gibt Aswin Parkunantharan Auskunft über seine Einschätzungen der Chancen und Risiken sowie aktueller und zukünftiger Einsatzgebiete von Künstlicher Intelligenz für Rechtsabteilungen. Als Director Segment Legal Departments bei Wolters Kluwer Deutschland horcht der Wirtschaftsjurist und Betriebswirt immer sehr genau in den Markt hinein, um aufkommende Bedürfnisse und Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und schnell darauf reagieren zu können.
Prior: Herr Parkunantharan, wo steht aus ihrer Sicht der Rechtsmarkt beim Thema KI aktuell? Was sind die Chancen und wo liegen die Risiken?
Parkunantharan: Ich glaube, wegen ChatGPT steht das Thema KI spätestens jetzt auch bei Juristen weit vorn auf der Agenda, aber der Rechtsmarkt steht da, wie viele andere Bereiche auch, noch ganz am Anfang. Der Rechtsmarkt ist ohnehin sicher einer der Märkte, die weiterhin vergleichsweise wenig digitalisiert sind, und so fängt er auch gerade erst an, sich damit zu beschäftigen, wie man KI nutzbringend und sicher einsetzen kann. Natürlich gibt es auch Risiken und Grenzen, aber in erster Linie ist KI eine große Chance für den Rechtsmarkt.
Der wichtigste Punkt ist sicherlich, dass man die KI gut repetitive Aufgaben übernehmen lassen kann.
Wichtig ist, dass man sich nicht nur die Seite der Risiken anschaut. Aber die gibt es natürlich auch. Hier ist sicher ein wichtiges Feld das der Falschinformation – unbeabsichtigt oder beabsichtigt. Nur weil Informationen aus einer KI kommen, heißt das ja noch lange nicht, dass sie alle richtig sind. Die Qualität der KI steht und fällt mit dem, was dort eingespielt wird. Und natürlich muss man sicherstellen, dass die KI am Ende nicht selbst Entscheidungen trifft, ohne dass ein menschlicher Entscheidungsträger involviert war. Der ist mit dem Einsatz von KI aber dann von gewissen Aufgaben entlastet, steigt erst ein, wenn es an die Prüfung geht und kann sich auf wesentliche Dinge konzentrieren.
Prior: Wie schätzen Sie die Dynamik des Themas KI für Rechtsabteilungen ein?
Parkunantharan: Wie dynamisch das Thema KI sich entwickeln wird, hängt sehr vom Markt ab und davon, welche Wertigkeit dem Thema zugeschrieben wird. Am Ende des Tages haben aber alle Rechtsabteilungen mit demselben Thema zu kämpfen: Es geht um Effizienz. Die lässt sich eben dadurch steigern, dass Juristen sich auf das Wesentliche konzentrieren können, und KI kann eine gute Möglichkeit sein, das zu erreichen. Ich kann mir gut vorstellen, dass man in einigen Jahren zum Beispiel NDAs oder AGBs von einer KI erstellen lässt. Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg. Nicht nur der Rechtsmarkt steht da noch am Anfang.
Prior: Wo steht Wolters Kluwer aktuell beim Thema KI und wie soll sich das Thema in den kommenden Jahren entwickeln?
Parkunantharan: Wir beschäftigen uns seit vielen Jahren mit unterschiedlichen KI-Modellen und haben in vielen Lösungen schon KI-Komponenten integriert.
Auch für Rechtsabteilungen haben wir ein erstes Produkt, in das wir KI integriert haben. 2022 haben wir Della AI gekauft. Vor dessen Integration in die Wolters-Kluwer-Familie haben wir bereits jahrelang mit dem Unternehmen zusammengearbeitet. Und jetzt ist die Technologie Teil von Legisway, unserem Hauptprodukt für Rechtsabteilungen, das aus verschiedenen Modulen besteht. In das Modul Contract, also das Modul für Verträge, haben wir die KI integriert. Mit ihr lassen sich schnell bestimmte Vertragsinhalte finden. Sie liest den Vertrag nicht nur wörtlich, sondern auch inhaltlich. So zeigt sie zum Beispiel Abschnitte, in denen es um Haftung oder Kündigung geht, selbst wenn die Wörter Haftung oder Kündigung im Text gar nicht vorkommen. Zudem werden die Verpflichtungsdetails automatisch in das Tool übernommen, eine händische Eingabe ist also nicht mehr notwendig. Die Erstellung des Vertrags liegt natürlich weiterhin in der Hand von Juristen, es geht rein um die Überprüfung, die bei umfangreichen Verträgen extrem zeitaufwendig ist. Die KI kommentiert auch nicht, sie ist eine Unterstützung, aber es macht in der täglichen Arbeit wirklich einen großen Unterschied, ob man einen 200-Seiten-Vertrag Wort für Wort auf der Suche nach bestimmten Themen durcharbeiten muss, oder ob man vom System innerhalb weniger Sekunden gesagt bekommt, dass sich das gesuchte Thema auf den Seiten 98 und 127 findet. Das ist ein wirklich gutes Beispiel für einen praxisrelevanten Nutzen, weil wir so tatsächlich die Effizienz steigern und Mitarbeitende von immer wiederkehrenden Aufgaben entlasten.
Wir bekommen immer öfter die Frage gestellt: Was habt ihr zu Künstlicher Intelligenz? Das entspringt sicherlich einer grundlegenden Neugier, was in diesem Bereich schon geht, aber auch der Erwartung, dass wir als Legal-Tech-Anbieter hier gut aufgestellt sind. Wir finden das Thema sehr spannend, werden aber nur wirklich ausgereifte und sinnhafte Lösungen anbieten, und wir sehen auch, dass wir in vielen Bereichen zunächst einmal die Basics der Digitalisierung bei unseren Rechtsabteilungsskunden implementieren müssen, bevor wir über KI reden können.
Prior: Wie erleben Sie denn die Haltung in den Rechtsabteilungen zum Thema KI?
Parkunantharan: Auf der einen Seite habe ich, seit ich im Rechtsmarkt unterwegs bin, noch kein Thema erlebt, das so heiß diskutiert wurde. Ich habe mich erst kürzlich mit den Leitern verschiedener Rechtsabteilungen unterhalten, und da hieß es schon: Wie cool wäre das denn, wenn es ein Tool gäbe, in das man einfach bestimmte Begriffe reingibt und das einem dann einen fertigen Vertrag ausspuckt mit allen notwendigen Klauseln und ohne, dass man sich mehrere Tage hinsetzen muss, um diesen Vertrag aufzusetzen. So weit sind wir noch nicht, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass das in wenigen Jahren funktionieren wird.
Auf der anderen Seite spüren wir auch eine gewisse Zurückhaltung im Markt, sicherlich auch aus dem Grund, weil Juristen grundsätzlich eher vorsichtig sind – vielleicht auch aus Angst um den eigenen Arbeitsplatz. Aber KI ist im Rechtsmarkt heute und auch in den nächsten Jahren nicht dazu da, menschliche Arbeitskräfte überflüssig zu machen. Gerade auch in der Arbeit der Rechtsabteilung spielt der Faktor Emotionalität eine sehr große Rolle, und die lässt sich nicht digital generieren.
Man muss sich wirklich keine Sorgen machen, dass die Arbeit des Juristen ersetzt wird, aber man muss sich fragen, inwiefern aktuelle Positionen vielleicht umdefiniert werden, also inhaltlich eine andere Ausrichtung bekommen.
Prior: Vielen Dank für das interessante Interview und weiterhin viel Erfolg.
Über den Interviewten: Aswin Parkunantharan ist Director Segment Legal Departments bei der Wolters Kluwer Deutschland GmbH in Hürth. In dieser Rolle verantwortet er das operative und strategische Geschäft für den Bereich Legal Software. Er hat Wirtschaft und Recht in Köln studiert.