Entwicklung von Legal Tech Produkten: ein Erfahrungsbericht
Ein Legal Tech Produkt lässt sich bekanntlich am einfachsten so entwickeln, dass man auf bereits bestehende Lösungen setzt und diese nur konfiguriert und verbindet. Etwa ein Workflow wird aus einem Online-Formular, einer No-Code Workflow Plattform und einer Kanzleisoftware zusammengestellt. Doch wie einfach ist das wirklich und was soll man bedenken? Wir bringen einen ehrlichen Erfahrungsbericht.
Technische und juristische Ausgangslage
Unser Ziel war es, ein konkretes Legal-Tech Produkt bzw. Anwendungsfall zu entwickeln. Juristisch ergeben sich die Anwendungsfälle für den Einsatz von Legal Tech insbesondere dort, wo es um ähnliche Fallkonstellationen geht, die sich standardisiert bearbeiten lassen. Vor allem die ersten Phasen der Fallbearbeitung weisen oft wenig Variationen auf. Wir haben uns zunächst auf zwei solcher Anwendungsfälle konzentriert:
1) Verkehrsordnungswidrigkeiten: Mandant erhält einen Bußgeldbescheid oder Anhörungsbogen von der Bußgeldstelle und will diesen überprüfen lassen und ggf. Einspruch dagegen erheben (OWi).
2) Kündigungsschutzklage: Mandant erhält ein Kündigungsschreiben und will es überprüfen lassen und ggf. auf Abfindung klagen (KSchK).
Technisch betrachtet ist der gute Ausgangspunkt die bereits vorhandene Software in der Kanzlei. Meistens verfügt auch jede kleine Kanzlei über eine Kanzleisoftware, die wiederum eine Anbindung an ein E-Mail-Postfach und beA hat und die elektronische Aktenanlage und -verwaltung sowie Fristenmanagement und Mandantenbuchhaltung ermöglicht. Es macht deshalb Sinn, die zusätzlichen Komponenten, die die Schritte davor automatisieren können (von der Mandatsanbahnung bis zur automatischen Erstellung erster Schriften) an diese Software anzubinden.
Konkrete Ausgestaltung der Anwendungsfälle
Aus den juristischen und technischen Voraussetzungen ergab sich die folgende Ausgestaltung der Anwendungsfälle OWi und KSchK:
1) Kontaktformular (Kanzleiwebseite oder Landingpage mit Anbindung an Workflow-Software)
Der Mandant füllt das Kontaktformular für OWi oder KSchK auf der Kanzleiwebseite aus. Er teilt Angaben zu seiner Person und zum Fall mit, und lädt die relevanten Dokumente hoch (Bußgeldbescheid / Anhörungsbogen bzw. Kündigungsschreiben).
2) Workflow (Workflowsoftware mit Anbindung an Kanzleisoftware)
In der Workflow-Software wird ein neuer Prozess mit den angegebenen Daten gestartet. Der Sachbearbeiter vervollständigt die Daten. Der Mandant wird per automatischer E-Mail aufgefordert, zusätzliche Dokumente (Vollmacht) bereitzustellen oder zusätzliche Daten einzugeben (Link zu einem zusätzlichen Formular). Am Ende liegen alle relevanten Daten zum Fall vor, größtenteils von dem Mandanten selbst angegeben. Eine Kollisionsprüfung (Abgleich mit Kanzleisoftware-Datenbank), automatische Berechnung der Fristen und Aktenanlage folgen. Per Klick werden Schreiben erstellt (Einspruch und Akteneinsicht / Akteneinsicht bzw. Kündigungsschutzklage), die die Falldaten und die relevanten Textbausteine enthalten. Die neue Akte, Kontakte der Parteien und die erzeugten Dokumente finden sich auch in der Kanzleisoftware wieder.
3) Weitere Fallbearbeitung (Kanzleisoftware)
Weitere Bearbeitung des Falles und Kommunikation mit dem Mandanten erfolgt außerhalb des Workflows in der Kanzleisoftware.
Beteiligte an der Entwicklung und ihre Rollen
An der Umsetzung der definierten Anwendungsfälle mussten mehrere Parteien beteiligt sein. Die Kanzleien als Pilotkunden haben mit ihrem juristischen Know-How zum Produkt beigetragen. Dazu gehörte rechtlicher Inhalt der Vorlagen für die generierten Dokumente, rechtliche Einschätzung wie Einhaltung der Fristen oder Formerfordernisse. Ebenso wichtig waren die praktischen Erfahrungen mit den Abläufen in der Kanzlei und dem üblichen Verhalten von Mandanten. Ferner mussten die Pilotkunden den Zugang zu Ihrer Kanzleisoftware und Webseite und somit die Zusammenarbeit mit ihren IT-Administratoren und Webentwicklern ermöglichen. Die Pilotkunden waren intensiv beim Testen eingebunden.
Softwareanbieter für Workflowsoftware – in unserem Fall ShakeSpeare Software – hat die No-Code Workflow-Plattform bereitgestellt, die konfiguriert werden musste, um die Prozesse abzubilden. Dazu gehörten der Start des Prozesses aus dem Webformular, Inhalt der Formulare (Metadaten), technische Vorbereitung der Vorlagen (Platzhalter, Textbausteine), Konfiguration von Zugangsrechten der Benutzer, Vorlagen und Versenden der E-Mails. Ein weiterer Punkt war die Schnittstelle bzw. Anbindung zur Kanzleisoftware Advoware (mithilfe des seitens Advoware bereitgestellten Connectors) die die Übertragung von Aktenzeichen, Dokumenten, Fristen und anderen Aktendaten in die Kanzleisoftware ermöglicht. Die Schnittstelle ist der einzige Bestandteil des Produkts, das programmiert werden musste.
Softwareanbieter für Kanzleisoftware – In unserem Fall Advoware zusammen mit dem Partner Hülskötter – haben für einen Teil der Infrastruktur und die Kanzleisoftware-Funktionalitäten gesorgt wie Dokumentenmanagement, Aktenmanagement, Fristenmanagement, Mailbox/beA. Wichtig war auch die Bereitstellung von Connector, der die Entwicklung von Schnittstellen für die Anbindung an externe Software wie ShakeSpeare erleichtert und ermöglicht. Hülskötter als Kanzleiexperten-Firma und Advoware-Vertriebspartner hat sich ebenfalls an der inhaltlichen Ausgestaltung beteiligt und die Pilotkunden, die gleichzeitig Advoware-Kunden sind, betreut.
Komplexität des Produkts und die Erfahrung mit den Pilotkunden
Unser Ansatz bestand darin, bereits vorhandene Lösungen auszuschöpfen, so dass der Programmierungsaufwand minimiert wird. Dennoch haben manche Beteiligte die Komplexität des Projektes unterschätzt.
Die erste Version des Produkts konnten wir schnell auf die Beine stellen. Doch der Teufel steckt im Detail. Die Inhalte konnten endgültig nur in zahlreichen Verbesserungsschleifen definiert werden. Immer wieder sind wir beim Testen auf kleine technische oder inhaltliche Schwachstellen gestoßen. Diese konnten oft nur in Zusammenarbeit von mehreren Beteiligten behoben werden, die jeweils für unterschiedliche Aspekte zuständig waren (etwa Schnittstellen-Entwicklung, Webdesign und Workflowkonfiguration). Wiederum andere Verbesserungen waren schnell nur von einer Person umsetzbar. Die Pilotkunden schätzten die Anpassbarkeit und Flexibilität der Software, es war aber teils schwierig für sie zu beurteilen, wie einfach umsetzbar eine gewünschte Änderung oder Verbesserung war.
Eine andere Herausforderung war, dass eine Änderung in einem Systembestandteil, die wir manchmal sogar nicht beeinflussen können, etwa eine neue Browser-Version, Auswirkungen auf das ganze System haben kann.
Ausblicke für die Zukunft
Die Rechtslage ändert sich und die Digitalisierung schreitet voran. Wir sind zuversichtlich, dass sich die Entwicklung weiterer Anwendungsfälle lohnt. Es ist aber wichtig, eine realistische Vorstellung zu haben, was hinter einer solchen Entwicklung steht, sei sie auch fast ohne Programmieren möglich. Insbesondere bei komplexeren Systemen die mehrere Arten von Software verbinden und wo Details und präzise Inhalte wichtig sind, kann es dauern, bis das Ergebnis den eigenen Anforderungen entspricht.
Autorin: JUDr. Anna Slaninkova, LL.M. – Als Legal Engineer bei 42DBS GmbH ist Anna Slaninkova verantwortlich für die Transformation einer juristischen Perspektive in die technische Implementierung, konkret für die Ausgestaltung, technische Definition und passende Implementierung von Legal-Tech Projekten mit der ShakeSpeare Software. Vor Ihrem Eintritt bei 42BDS GmbH arbeitete Anna als Juristin in Rechtsanwaltskanzleien.