Digitalisierung im Rechtsmarkt
Digitalisierung im Rechtsmarkt ist in aller Munde! Kein Wunder: In praktisch allen Industrien findet ein race to digitalization statt. Und da ist der Rechtsmarkt natürlich nicht ausgenommen! Die Frage ist höchstens: Wie steht es mit der praktischen Relevanz von Legal Tech? Wie viel von Blockchain, Künstlicher Intelligenz, Machine Learning etc. ist „warme Luft“? Welche der Legal Tech Tools, die auf den Markt drängen, generieren wirklich Nutzen für Kanzleien und Rechtsabteilungen? Und wie gehe ich meinen ganz persönlichen Weg mit meiner Kanzlei oder Rechtsabteilung in die digitale Zukunft?
Taugt Legal Tech in der Praxis?
Einer neuesten Studie von Lexis Nexis (Legal Technology – looking past the hype, 2018, S. 7) zufolge sind für die Praxis aktuell vier Kategorien von Tools interessant:
Da sind einmal die Programme, die als „Insight Tools“ bezeichnet werden. Dazu gehören namentlich online-Hilfen für die juristische Recherche sowie elektronisch erschlossene interne Wissensdatenbanken. Der erwähnten Studie zufolge nutzen über 80% der befragten Rechtsabteilungen mindestens eine dieser beiden Möglichkeiten.
Eine zweite Gruppe von Legal Tech Instrumenten sind jene, die man unter den Oberbegriff der elektronisch unterstützen Dokumenterstellung zusammenfassen kann. Automatische Vertragserstellung, Vertragsüberprüfung oder Software, die sogenannte e-Signatures ermöglichen, gehören dazu. Die praktische Bedeutung dieser Tools ist noch deutlich geringer als jene der „Insight Tools“. Die Studie zeigt aber, dass ihnen ein großes Potenzial für die Zukunft eingeräumt wird.
Die dritte Gruppe trägt die Bezeichnung Dokumenten-Management. Hier geht es um die strukturierte und systematische Verwaltung von Dokumenten aller Art, die Untersuchung großer Mengen von Dokumenten (e-Discovery) oder die intelligente Sicherung und Erschließung von Akten. Es versteht sich von selbst, dass funktionierende Tools in diesem Bereich für Kanzleien und Rechtsabteilungen außerordentlich wertvoll sein können. Es ist denn auch nicht verwunderlich, dass bereits rund ein Fünftel der befragten Rechtsabteilungen solche Software nutzen und deren künftiges Potenzial als beträchtlich eingestuft.
Die vierte Kategorie schließlich umfasst Tools in den Bereichen Fall-Management und e-Billing. Hier hat die Studie ergeben, dass schon rund ein Viertel der befragten Rechtsabteilungen sich solcher Software bedient.
Im Vordergrund steht der Nutzen
Damit steht fest, dass Legal Tech bereits Teil der Realität im Rechtsmarkt ist. Wenn man sich aber mit Kanzleien und Rechtsabteilungen unterhält, die entsprechende Tools einsetzen, spürt man oft Ernüchterung. Die Software ist teuer, deren Handhabung komplex, die Einführung im Alltag umständlich und aufwändig, die Akzeptanz bei den Anwältinnen und Anwälten gering. Gelegentlich hört man gar, man habe die Investition in Legal Tech in den Sand gesetzt.
Woran liegt das? Weshalb gibt es diese Diskrepanz zwischen technologisch zunehmend ausgereifteren Tools einerseits und der praktischen Erfahrung damit andererseits?
Wenn wir dieser Frage nachgehen, stellen wir oft fest, dass Kanzleien und Rechtsabteilungen das Pferd am Schwanz aufzäumen. Technologie-Enthusiasten in der Rechtsabteilung oder auch nur offene und neugierige Kolleginnen und Kollegen in der Kanzlei lassen sich von den Möglichkeiten gut gemachter Software blenden und investieren, ohne sich zuerst über die strategische und operative Nutzenlage im Klaren zu sein. Was meine ich?
Technologie kann auf drei Ebenen der Kanzlei oder Rechtsabteilung eine Rolle spielen. Die erste dieser Ebenen ist die strategische. Hier stellt sich die Frage, ob ich mir in einem der insgesamt vier strategischen Handlungsfelder einen Nutzen durch den Einsatz moderner Technologie verspreche. Sehe ich die Chance, dass mir die betreffende Software hilft, mein Dienstleistungsangebot zu verbessern oder zu erweitern? Soll mir Technologie helfen, die Bedürfnisse meiner Kunden besser zu bedienen, indem ich etwa die Schnittstelle zum Mandanten und damit die Interaktion mit ihm attraktiver gestalte? Kann ich mit geeigneter Software aus meiner territorialen Beschränkung am Standort ausbrechen? Und schließlich: Sehe ich die Möglichkeit, für meine Dienstleistungen mittels Technologie innovative Vertriebsoptionen zu erschließen?
Die zweite Ebene ist die Prozessebene, wobei ich hier unterscheiden muss zwischen dem eigentlichen Leistungserstellungsprozess (Arbeit am Mandat) in Kanzlei oder Rechtsabteilung einerseits und den sogenannten Unterstützungsprozessen. Software, die den Prozess der Mandatsarbeit unterstützt, ist ja bereits recht verbreitet. Sie hilft mir, meine Ressourcen richtig einzusetzen, effizient und effektiv zu arbeiten, die Mandatsdauer zu verkürzen und jederzeit Transparenz über den Stand der Mandatsarbeit zu haben. Je nachdem, wo ich mir den größeren Nutzen verspreche, kann ich aber natürlich auch bei den Unterstützungsprozessen einen Investitionsschwerpunkt setzen. Auch hier ist das Angebot beträchtlich: Programme, die im Marketing, im Wissensmanagement, in Buchhaltung und Controlling, im Personalwesen oder in der Verwaltung der Infrastruktur unterstützen, sind zahlreich und bewähren sich.
Die dritte Ebene sind die Systeme, die ich zum Betrieb meiner Prozesse benötige. Darunter versteht man etwa Qualitätsmanagement-Modelle (ISO, EFQM, Lean Management etc.), Innovationsmodelle (Scrum, Design Thinking und ähnliches), aber auch die Betriebssoftware oder die Hardwarekonfiguration meiner IT. Auch in diesem Bereich existiert ein recht breit gefächertes Angebot an Tools, die sich zum Einsatz in Kanzleien und Rechtsabteilungen eignen.
Best practice
Je besser ich mir im Klaren darüber werde, welchen Nutzen ich mir vom Einsatz von Legal Tech in meiner Kanzlei oder Rechtsabteilung verspreche, desto eher bin ich vor Enttäuschungen gefeit. Ich werde meinen Investitionsentscheid aufgrund eindeutiger Kriterien fällen. In welchem Bereich möchte ich mich verbessern? Wie genau soll diese Verbesserung sich auf die Effizienz meiner Arbeit oder die Qualität der Kundeninteraktion auswirken? Die Anforderung, mit dem Einsatz moderner Technologie einen messbaren strategischen oder operativen Nutzen zu erzielen, muss immer im Vordergrund stehen.
Wenn einmal festgelegt ist, wo auf Strategie-, Prozess- oder Systemebene der erwartete Nutzen am größten ist, geht es darum, sich zu überlegen, wie der Innovations- und Transformationsprozess gestaltet werden muss, damit die Investition glückt.
Die Erfahrung zeigt, dass Innovationsprozesse, die in die übliche Organisation eingebettet sind, oft schief laufen. Projektverantwortliche, die aufgrund ihrer hierarchischen Position eingesetzt werden, neben der Mandatsarbeit nicht ausreichend Zeit für das Projekt finden, keine Affinität für Technologie haben und nicht viel von Projektmanagement verstehen, sind Garanten für Misserfolg. Vielversprechender ist es, Innovationsteams für ein bestimmtes Projekt zusammenzustellen, die ungeachtet der hierarchischen Einstufung die geeignetsten Mitarbeiter versammeln. Die Teams sollten eine gewisse Autonomie haben, ein Zeit- und Geldbudget und klare Projektvorgaben. Sie sollten an einen hierarchisch möglichst hoch gestellten Mentor rapportieren, der sie wirkungsvoll unterstützen kann, wenn es darum geht, innerhalb der Organisation Investitions- und Umsetzungsanträge durchzubringen. Erst wenn das Projekt umsetzungsreif ist, sollte es wieder behutsam in die Primärorganisation integriert werden.
Wichtig ist auch, dass der Karren nicht überladen wird und man sich der Zukunft mit Legal Tech in kleinen Schritten nähert. Wagen Sie nicht einfach aus dem Stand den ganz großen Wurf! Versuchen Sie sich an einer „kleinen“, technisch bewährten Anwendung, die einen gut sichtbaren, internen oder externen, Nutzen generiert. Die Erfolgschancen sind bei einem solchen Vorgehen besser, und die Mitarbeiter werden begeistert sein, wenn sie eine vielleicht noch eher kleine Lösung beherrschen, deren Einführung gut gelingt.
Fazit
Seien Sie mutig, wagen Sie den Schritt in eine Welt, in der Legal Tech bald selbstverständlich sein wird. Gehen Sie strukturiert vor und klären Sie Ihre Erwartungen an den Nutzen der Anwendung, bevor Sie Geld in die Hand nehmen. Und entwickeln Sie Ihr eigenes Legal Tech-Projekt mit einem engagierten Team, dem Sie ausreichend Freiraum und Unterstützung für die Erarbeitung eines Investitionsantrages und dann die Einführung in Ihrer Kanzlei oder Rechtsabteilung bieten. Halten Sie sich an diese Anregungen, sind Ihre Chancen intakt, die Transformation zum digitalen Rechtsmarkt erfolgreich zu bewältigen.
von Prof. Dr. Leo Staub – Rechtsanwalt, Direktor, Geschäftsbereich Law & Management Universität St. Gallen