Fachartikel

Digitale Tools für Kanzleien und Unternehmen in Wirtschaftsstrafverfahren

Wirecard, Diesel-Skandal, Cum-Ex…. Beispiele für spektakuläre Ermittlungsverfahren mit Sicherstellung bzw. Beschlagnahme großer Datenmengen gibt es viele. Für das Unternehmen selbst, aber auch für die beauftragte Kanzlei stellt diese Situation oftmals eine große Herausforderung dar, die mit „klassischen“ Handlungsansätzen vielfach kaum zu bewältigen ist. Nachfolgend soll ein kurzer Überblick gegeben werden, wie digitale Tools hierbei unterstützen können.

Durchsuchung und Beschlagnahme sind nicht planbar

Eine Durchsuchung im Unternehmen oder in den privaten Räumlichkeiten einer Person geschieht häufig überraschend, z.B. in den frühen Morgenstunden, um den Betroffenen keine Zeit zu geben, relevante Beweismittel „verschwinden“ zu lassen. Regelmäßig werden hierbei Dokumente und Datenträger, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können, nach § 94 Abs. 1 StPO sichergestellt oder nach § 94 Abs. 2 StPO beschlagnahmt. In diesem Fall haben die Betroffenen auf die fraglichen Dokumente und Datenträger – ggf. für einen längeren Zeitraum – keinen Zugriff mehr.

Aus zwei Gründen kann die schnellstmögliche Rückerlangung dieser Dokumente und Datenträger bzw. der darin enthaltenen Informationen für die Betroffenen essentiell sein: Zum einen können diese schon für das Tagesgeschäft erforderlich sein, da die Firma möglicherweise nicht arbeitsfähig ist, wenn Informationen fehlen, z.B. Personalakten, Kundenakten, Verträge, Gutachten oder Terminpläne für laufende Projekte. Zum anderen müssen sich das Unternehmen, die betroffenen Personen sowie deren juristische Berater, die im ungünstigsten Fall erst im Zusammenhang mit der Beschlagnahme mandatiert wurden, auf das anstehende Verfahren vorbereiten und sich entsprechend strategisch aufstellen. Ohne ein umfassendes Bild über die Informationslage der Ermittlungsbehörden ist die Entwicklung einer Verteidigungsstrategie regelmäßig kaum möglich.

(Rück-)Gewinnung von Informationen sichert Handlungsfähigkeit von Unternehmen und Beratern

Die (Papier-)Dokumente können zwar auch in Großverfahren von einem oder mehreren Anwälten bei der Ermittlungsbehörde gesichtet werden. Gerade bei großen Datenmengen kann dies aber schnell sehr viel Zeit in Anspruch nehmen und hierdurch die Kosten für den Mandanten in die Höhe treiben. Es ist auch möglich, dass die Kanzlei die Ressourcen, z.B. für die Sichtung von hunderten von Aktenordnern oder hunderttausenden E-Mails, schlicht nicht besitzt, und allein deswegen die Daten nicht vollständig sichten kann. Zudem müssen sie sich nach der Verfügbarkeit der Daten (z.B. Öffnungszeiten bei der Ermittlungsbehörde vor Ort) richten und haben daher nur ein kleines Zeitfenster für die Sichtung. Wichtige Details können so leicht übersehen werden.

Handelt es sich um digitale Dokumente muss im Normalfall zugewartet werden, bis die Ermittlungsbehörde die Daten für sich kopiert hat. Dann werden die beschlagnahmten Datenträger, also Handys und Laptops wieder zurückgegeben. Dies geht in der Regel schneller als die Rückgabe der Papierdokumente. Aber auch hier kann wertvolle Zeit für die Erarbeitung einer Strategie verloren gehen.

Internationale Ermittlungen bieten zusätzliche Herausforderungen

Eine zusätzliche Besonderheit besteht bei internationalen Ermittlungen, z.B. ausgehend von den USA, hier ist ggf. noch eine sog. E-Discovery erforderlich. Das bedeutet, das Unternehmen muss einen umfassenden Datensatz bei Gericht vorlegen, also Dokumente, die sowohl be- als auch entlastend sind. Hierzu müssen ggf. intern noch weitere Daten gesichert werden. Dies kann z.B. E-Mail-Accounts von Mitarbeitern betreffen. Hier müssen dann ebenfalls die Daten in entsprechender Weise intern ermittelt werden.
Digitale Unterstützung erleichtert die Sicherung von Daten

Eine sinnvolle Lösung der Problematik kann die digitale Erfassung der o.g. Daten sein. Dies bietet den Vorteil, dass der gesamte beschlagnahmte Datensatz schnellstmöglich wieder für das Unternehmen und seine Berater zur Verfügung steht. Dies erlaubt regelmäßig einen schnelleren Einstieg in die Verteidigungsstrategie bzw. die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit.

Für die Erfassung von Dokumenten kann ein Einscannen bei der Behörde vor Ort durch geschultes Personal erfolgen. Hierzu bedarf es auch geeigneten Equipment, z.B. in Form von transportablen Scannern. Je nachdem, ob die Dokumente einfachseitig, gebunden oder großformatig sind, können unterschiedliche Scangeräte nötig sein. Üblicherweise wird hierzu (evtl. für mehrere Tage) ein Raum benötigt, indem die Scanner aufgestellt werden und Dokumente eingescannt werden können.

Um digitale Daten schneller zurückzuerhalten kommt in Betracht, dass die Kanzlei die Ermittlungsbehörde davon überzeugt, zu erlauben, die Datenträger noch vor der behördlichen Auswertung und Rückgabe direkt vor Ort zu kopieren.

Zahlreiche Herausforderungen bei der Datenerfassung

Um dem Vorwurf einer Beweisvereitelung zu entgehen, ist bei der Sicherung von Papierdokumenten sorgsam darauf zu achten, dass die Dokumente nach dem Digitalisierungsprozess im Ursprungszustand an die Ermittlungsbehörden zurückgegeben werden. Das bedeutet, die Reihenfolge von abgehefteten Dokumenten darf nicht verändert, fest verbundene Dokumente, z.B. notarielle Urkunden und Verträge, dürfen nicht aufgetrennt werden, bzw. müssen wieder entsprechend des Ausgangszustandes verbunden werden.

Sinnvoll ist es auch, die farbliche Information in Dokumenten mitaufzunehmen, z.B. Rotstift oder Textmarker. Ein Scan in Schwarz-Weiß ist daher oft ungeeignet. Geräte sollten in der Lage sein, Farbinformationen aufzunehmen, Personal auf diesen Aspekt geschult sein.

Auch auf die Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden vor Ort sollte Wert gelegt werden, insbesondere im Hinblick auf Diskretion, Einhaltung der Prozesse der Behörden etc.

Inhouse oder extern vergeben?

Wenn aufgrund von Datenmenge und/oder Zeitmangel kein Weg an der digitalen Erfassung vorbeiführt, stellt sich die Frage, ob die Kanzlei dies selbst leisten kann oder einen geeigneten Dienstleister beauftragen sollte. Die Durchführung mit eigenen Ressourcen ist im Wirtschaftsstrafrecht so gut wie nie anzutreffen, im Insolvenzrecht wird die Datenerfassung mittels eigener Ressourcen teilweise praktiziert, hier ist jedoch in der Regel der Zeitfaktor weniger relevant. Der Einsatz eines erfahrenen Dienstleisters mit geschultem Personal kann für die Kanzlei in beiden Fällen Vorteile bieten: Durch die auftragsbasierte Inanspruchnahme entfällt die Vorhaltung und Schulung von Personal sowie die Anschaffung von (ggf. wartungsbedürftigen) Geräten. Erfahrenes, geschultes Personal kann außerdem die Sicherung in der Regel auch zeit- und kosteneffizienter durchführen und kennt behördliche Abläufe.

Weiterverarbeitung der erfassten Daten

Nach der Sicherung können die Daten auf verschiedene Weise ausgewertet werden, um die Arbeit der Kanzlei bzw. der Unternehmensrechtsabteilung zu erleichtern oder (z.B. bei sehr großen Datenmengen) überhaupt erst zu ermöglichen.

Der erste Schritt ist der Einsatz von Texterkennung. Schon hierzu gibt es diverse Ansätze und damit auch verschiedenste digitale Tools, die dazu dienen, aus Textbildern les- und verarbeitbaren Text zu machen. Es gibt bspw. Software, die schlicht versucht, Wörter anhand von grafischen Elementen, wie z.B. Bögen oder Abständen von Linien, zu erkennen. Ebenfalls möglich ist die Erkennung unter Zuhilfenahme von Künstlicher Intelligenz bzw. Maschinellem Lernen (KI), hier wäre dann ggf. (aktuell noch mit Einschränkungen) auch die Erkennung von Handschrift möglich.

Auch die händische Recherche durch den Anwalt in einer durchsuchbaren pdf-Datei bindet viele Ressourcen. Eine weitere Vereinfachung ermöglicht daher die sog. Strukturierung von Daten. Je nach Bedarf können mit geeigneten Tools Abfragen nach bestimmten Suchbegriffen erstellt und die jeweils relevanten Dokumente ausgegeben werden. Der gesamte Dokumentenbestand kann auf diese Weise auch nach sog. Entitäten (Namen, Beträge, Zeitpunkte, etc.) komplett ausgewertet werden. Dies dient z.B. dazu, eine Häufigkeit oder die Kombination von Begriffen, Zahlen, Strukturen oder grafischen bzw. Bildelementen feststellen zu können. Das Ergebnis sind geclusterte bzw. klassifizierte Dokumente. Z.B. könnte eine Abfrage lauten, dass Dokumente gesucht werden, die Datumsangaben enthalten in einem bestimmten Zeitraum, in diesen Dokumenten muss dann bspw. zugleich noch ein bestimmter Name oder eine bestimmte E-Mailadresse enthalten sein. So kann man eine Datenmenge von tausenden schriftlichen oder hunderttausenden digitalen Dokumenten (z.B. E-Mails) auf einige wenige relevante Dokumente reduzieren. Diese Technik ist nicht nur bei Wirtschaftsstrafverfahren sinnvoll einzusetzen, sondern auch im Rahmen von Insolvenzverfahren, im M&A-Bereich oder im Rahmen von Compliance-Audits im Unternehmen.

Eine Zukunft mit KI?

Das Ende der Entwicklung dürfte an dieser Stelle noch lange nicht erreicht sein. So werden solche und noch komplexere Auswertungen (z.B. in sehr großen Wirtschaftsstrafverfahren) künftig auch immer stärker den Einsatz von KI erfordern. Hierbei gilt es zu bedenken, dass vermutlich in einem einzelnen Fall der Informationsgehalt vielfach noch nicht so genutzt werden kann, um eine KI anzutrainieren. Sinnvoll erscheint jedoch der langfristige Aufbau einer KI über eine Vielzahl von (ähnlichen) Strafverfahren. Insofern bietet es sich an, eine KI-basierte Software über einen längeren Zeitraum einzusetzen. Denkbar ist beispielsweise, dass die KI im Hinblick auf das Auffinden eines bestimmten Dokumententyps (z.B. Mietvertrag, Rechnung oder Lieferschein) innerhalb einer großen Datenmenge angelernt wird. Grob gesagt könnte ein Anlernen so funktionieren, dass der KI zunächst einige Dokumente der fraglichen Art präsentiert werden. Im Anschluss würde die KI weitere Dokumente vorschlagen und es erfolgt eine Bestätigung, ob die KI richtig oder falsch lag.

Langfristig wäre die KI dann selbstständig in der Lage, anhand der gesammelten Merkmale Übereinstimmungen und damit den gesuchten Dokumententyp identifizieren zu können. Darüber hinaus sind natürlich noch viele andere und teilweise deutlich tiefergehende Einsatzzwecke für eine KI in der Dokumentenanalyse denkbar, wie z.B. Sentiment Detection (englisch für „Stimmungserkennung“), die die (für eine KI sehr anspruchsvolle) Auswertung von Texten mit dem Ziel, eine geäußerte Haltung als positiv oder negativ zu erkennen, beschreibt.

Autorin: Dr. Franziska Lietz, LL.M. ist Rechtsanwältin und im Schwerpunkt mit der Compliance von Industrieunternehmen im Energie- und Umweltrecht befasst, sowie u.a. als Geschäftsführerin im IT-Bereich tätig, zuletzt im Bereich Legal Tech für ein Unternehmen, welches u.a. Compliance-Software für Industrieunternehmen entwickelt und vertrieben hat.

Autor: Stevan Dzajic, Dipl-Ing (FH) mit Fokus auf Datenanalyse, Gründer und seit 15 Jahren Geschäftsführer der ff. frankfurt forensic data GmbH (vormals aCube digital GmbH) mit Sitz in Frankfurt am Main. Die ff. frankfurt forensic data GmbH hat sich auf die Digitalisierung von Dokumenten und die Analyse von Daten für interne und externe Ermittlungen spezialisiert. Zu den Kunden gehören insbesondere Anwaltskanzleien, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sowie Compliance- und Rechtsabteilungen.

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