Fachartikel

Die Wellen des Legal Tech

Legal Tech - Die Rechtsbranche im Wandel

Die Rechtsbranche durchlebt einen tiefgreifenden Wandel. Dieser wird maßgeblich durch den Einsatz neuer Technologien vorangetrieben, die unter dem Sammelbegriff LegalTech zusammengefasst werden. LegalTech ist ein weit gefasster Begriff und selbst Ambitionen für einheitliche Definitionen im Rahmen einer Länderarbeitsgruppe 2019 mündeten in der Erkenntnis, dass dies „im derzeitigen Stadium nicht wünschenswert“ sei aufgrund der „Gefahr einer unnötigen Einengung der sich rasant fortentwickelnden technischen Innovationen auf bestimmte Bereiche“. Es lässt sich durchaus argumentieren, dass die Länderarbeitsgruppe da nicht unrecht hatte insbesondere im Hinblick auf die rasanten Entwicklungen der letzten 2 Jahre seit der ChatGPT Einführung.

Im Rahmen des folgenden Artikel, versteht sich LegalTech als technologische Unterstützung der Tätigkeiten im Rechtsmarkt, um Rechtsanwender in ihrer täglichen Arbeit zu entlasten oder neue Formen der Rechtsdienstleistungserbringung zu ermöglichen. Das Ziel ist klar: Die Effizienz steigern, die Prozesse optimieren und gleichzeitig neue Wege der Problemlösung eröffnen.

Der Begriff LegalTech wurde erst ab 2016/2017 immer populärer, hat sich schnell etabliert und ist heute nicht mehr aus der juristischen Landschaft wegzudenken. Erste Erfolgsmodelle wie Flightright gewannen an medialer Bekanntheit und Software Ansätze, die auf maschinellem Lernen basierten (z.B. Ravel Law), rüttelten mit ihren Versprechen den Rechtsmarkt wach – auch wenn die Technologie zu dieser Zeit teilweise mehr versprach als sie liefern konnte. Jedoch hat sich der Stand der Technik seitdem deutlich weiterentwickelt und beachtliche Quantensprünge gemacht.

Die LegalTech Wellen: Voranschreiten der Digitalisierung im Rechtsmarkt


Legal Tech Welle

Die Rechtsbranche ist nicht der erste Bereich, der von tiefgreifenden Veränderungen erfasst wird. Historisch betrachtet haben wir ähnliche Entwicklungen bereits in vielen anderen Industrien erlebt, die durch wissenschaftliche und technologische Fortschritte vorangetrieben wurden. Diese Veränderungen erfolgen häufig in verschiedenen Phasen oder Wellen, wie es besonders eindrucksvoll während der industriellen Revolution zu beobachten war. Jede Phase dieser Revolutionen brachte grundlegende Umbrüche mit sich – von der Einführung mechanischer Produktionsanlagen in der ersten Phase bis hin zur umfassenden Automatisierung und Digitalisierung in der vierten Phase. Ein vergleichbares Muster zeigt sich nun auch im Bereich LegalTech, wenn auch in einem kleineren Maßstab und innerhalb eines kürzeren Zeitraums.

Welle 1: Unterstützung von Verwaltung und Back-Office

Die erste Welle der technologischen Entwicklung im Rechtsmarkt begann mit der Einführung grundlegender digitaler Hilfsmittel (die erst gar nicht den Begriff LegalTech assoziieren), die hauptsächlich Verwaltungs- und Back-Office-Aufgaben in Kanzleien und Rechtsabteilungen erleichtern sollten. Diese Phase markierte den Beginn der Digitalisierung in der Rechtsbranche und legte den Grundstein für die folgenden technologischen Entwicklungen.

Ein wesentlicher Treiber dieser Welle war die Verbreitung von Personal Computern und die damit verbundenen EDV-Grundkenntnisse in der Bevölkerung. Die steigende Verfügbarkeit von PCs und die Entwicklung nutzerfreundlicher Software ermöglichten es Kanzleien, ihre Verwaltungsprozesse effizienter zu gestalten.

Zu den typischen Anwendungen dieser ersten Welle gehörten Office-Software wie Microsoft Word für die Erstellung und Bearbeitung von Dokumenten, Fallmanagementsysteme zur strukturierten Verwaltung von Mandanten und Akten sowie Abrechnungssysteme für eine präzise Finanzverwaltung. Auch Zeiterfassungssysteme, um die Arbeitszeit und Ressourcennutzung nachvollziehbar zu gestalten und Dokumentenmanagementsysteme als zentrale Ablage für Dokumente gehörten dazu.

Die erste Welle legte die Basis, um den Bürobetrieb in Kanzleien und Rechtsabteilungen zu digitalisieren und den Verwaltungsaufwand zu minimieren. Durch die Unterstützung administrativer Prozesse konnte die Effizienz interner Abläufe gesteigert und der Grundstein für spätere technologische Fortschritte gelegt werden.

Welle 2: Unterstützung der juristischen Vorarbeit

Die zweite Welle der LegalTech-Entwicklung brachte Werkzeuge hervor, die gezielt die juristische Vorarbeit unterstützen sollten. Diese Phase zielte darauf ab, nicht-juristische Tätigkeiten effizienter zu gestalten, um den Rechtsanwendern mehr Zeit für die eigentliche juristische Arbeit zu geben.

Die fortschreitende Digitalisierung, Forschungssprünge in den Bereichen Text-Mining / Natural Language Processing (NLP) bildeten die Grundlage dieser Entwicklung. Auch die zunehmende Standardisierung von Dokumenten und Abläufen trug maßgeblich zu dieser Welle bei.

Zu den typischen Tools dieser Welle gehören rechtliche Datenbanken, die schnellen Zugriff auf Rechtsinformationen, Kommentare und Rechtsprechungen ermöglichen. Weiterhin zählen E-Signaturen dazu, die Unterschriftsprozesse digitalisieren, sowie Redlining-Funktionen von Textverarbeitungsprogrammen, die die Überarbeitung und Kommentierung von Verträgen effizienter machen. Ebenfalls von großer Bedeutung sind Vorlagenautomatisierung und Maschinelle Übersetzungen, die Routineaufgaben vereinfachen.

Diese zweite Welle fokussierte sich auf die Unterstützung der juristischen Vorarbeit durch digitale Werkzeuge. Sie sollte die Arbeitslast reduzieren und Raum für die strategischen Kernaufgaben schaffen, wodurch juristische Fachkräfte ihre Effizienz und Präzision steigern konnten.

Welle 3: Neue digitale, juristische Dienstleistungsmodelle

Die dritte Welle der LegalTech-Entwicklung kennzeichnet die Einführung von neuen, digitalen Dienstleistungsmodellen. Das erste Mal sah man, dass juristische Dienstleistungen, die traditionell von Anwälten erbracht wurden, direkt an Endkunden bereitgestellt wurden. Ein neuer Weg für die Erbringung dieser Dienste, was für viele Diskussionen im Rahmen des Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) sorgte.

Die Entwicklung dieser Phase wurde durch das Web2 / Cloud-Computing, die Entwicklung von Expertensystemen und die wachsende Akzeptanz von Online-Diensten im Verbrauchermarkt getrieben.

Ein typisches Beispiel sind Plattformen für Fluggastrechte, die Forderungen aufkauften und geltend machten, oder Vertragsgeneratoren, die es Nutzern ermöglichen, standardisierte Verträge selbst zu erstellen. Online-Rechtsberatungsplattformen bieten zudem Zugang zu juristischen Dienstleistungen und ermöglichen es Mandanten, einfach und schnell rechtlichen Rat einzuholen. Plattformen zur alternativen Streitbeilegung erlauben es, Konflikte online außergerichtlich zu lösen und bieten so eine effiziente Alternative zum traditionellen Rechtsweg.

Diese dritte Welle veränderte die Art und Weise, wie juristische Dienstleistungen erbracht werden. Kontroverse Diskussionen zu möglichen Verstößen gegen des RDG legte der BGH oft liberal im Sinne der LegalTech Provider aus (z.B. WenigerMieter, Smartlaw). Durch die Digitalisierung der Bereitstellung wurden viele Dienstleistungen für Mandanten zugänglicher und kostengünstiger, was neue Geschäftsmodelle und Marktchancen eröffnete.

Welle 4: (Vor)-Automatisierung von juristischer Kernarbeit

Die vierte Welle der LegalTech-Entwicklung markiert einen entscheidenden Schritt in Richtung Automatisierung der juristischen Kernarbeit. Im Fokus steht die Integration von KI-gestützten Lösungen, die Aufgaben übernehmen können, die traditionell von menschlichen Rechtsanwendern ausgeführt wurden.

Im Zentrum dieser Entwicklung stehen die Fortschritte bei großen Sprachmodellen (LLMs), die in der Lage sind, semantische Analysen durchzuführen und Zusammenhänge zu erkennen. Die immer besser werdenden Reasoning Fähigkeiten dieser Modelle erschließen immer weitere – zuvor nicht möglich geglaubte – Anwendungsbereiche. Ein weiterer Treiber ist der zunehmende Kostendruck und veränderte Erwartungshaltung bezüglich Effizienz – sowohl in Kanzleien wie auch Rechtsabteilungen.

Zu den aufkommenden Anwendungen gehören juristische KI-Chatbots, die als Sparringpartner und Assistenten für Rechtsanwender fungieren und einfache Anfragen bereits automatisiert beantworten können. KI-gestützte Vertragsanalyse-Tools unterstützen bei der Zusammenfassung, Prüfung und Analyse von Verträgen – auch bei großen Datenmengen wie bei der Legal Due Diligence. KI-gestützte rechtliche Recherchetools sind in der Lage, Texte semantisch zu durchsuchen und gefundene Informationen direkt in gewünschte Formate wie Tabellen oder Briefe aufzubereiten. Auch das Drafting von Dokumenten von Grund auf ist eine Stärke von Sprachmodellen und in Zusammenhang mit Klausel-Bibliotheken eine starke Arbeitserleichterung.

Diese vierte Welle bringt eine (Vor)-Automatisierung von Tätigkeiten, die bereits Teil des juristischen Kerns und durchaus von komplexerer Natur sind. Sicherlich sind diese derzeit noch nicht perfekt gelöst und bedürfen der menschlichen Überprüfung – den „Human in the Loop“, aber klar ist, dass viel im Wandel ist und es das Potenzial mitbringt die Effizienz und die Qualität juristischer Dienstleistungen zu verbessern.

Resume – was bedeutet das für die Rechtsanwender

Ein zentraler Aspekt der vierten Welle ist die signifikante Verbesserung der Reasoning-Fähigkeiten moderner Technologien. OpenAI’s neuestes Modell, „o1“, ist ein Paradebeispiel für diese Entwicklung. Es zeigt, dass Maschinen zunehmend in der Lage sind, komplexe Denkprozesse und Argumentationsstrukturen nachzuvollziehen, die bisher ausschließlich von Menschen bewältigt wurden. Dies eröffnet neue Möglichkeiten in der juristischen Arbeit und verschiebt die bisherigen Grenzen maschineller Fähigkeiten.

Die Automatisierung mechanischer Aufgaben führt dazu, dass sich die Rolle der juristischen Fachkräfte verändert. Routineaufgaben wie die Vertragsprüfung oder das Durchsuchen umfangreicher Dokumente können zunehmend von KI-gestützten Systemen übernommen werden. Der Mensch wird in diesem Prozess vermutlich eher zu einem Kontrolleur – einem „Human in the Loop“ – der die maschinellen Ergebnisse prüft und bewertet. Dadurch verlagert sich der Fokus auf strategisches und taktisches Denken, was die Relevanz von Erfahrungswissen und analytischen Fähigkeiten verstärkt.

Mit der vierten Welle ändern sich auch die Anforderungen an juristische Fachkräfte. In der Vergangenheit gehörte der sichere Umgang mit Software wie Microsoft Word zu den Grundvoraussetzungen in der Branche. Perspektivisch müssen Juristen vielleicht eher in der Lage sein, moderne KI-Tools zu bedienen und deren Potenziale und Risiken einschätzen zu können. Ein fundiertes Verständnis für die Funktionsweise und die Einsatzmöglichkeiten von KI wird zur Schlüsselkompetenz, um zukünftig in rechtsnahen Berufen erfolgreich zu agieren.

Autor: Patrick Tu ist Mitgründer und Chief Product Officer (CPO) von Leegle.ai, einem Legal Tech Startup aus München. Mit einem Hintergrund in Data Science und Forschungserfahrung zu Künstlicher Intelligenz am MIT, hat er als früher Mitarbeiter in einem schnell wachsenden Startup gearbeitet, welches an Meta verkauft wurde, sowie als Strategieberater bei McKinsey Digitalstrategien entwickelt.

- WERBUNG -