FachartikelLegal KI & ChatGPT

Der wachsende Einfluss generativer KI auf dem Rechtsmarkt am Beispiel juristischer Recherche

Der Rechtsmarkt durchlebt aktuell eine Transformationsphase. Insbesondere im Bereich anwenderorientierter Technologie, wo der zunehmende Einfluss künstlicher Intelligenz (KI) großes Potential für tiefgreifende Veränderungen schafft, zugleich aber auch Herausforderungen für die Akteure am Rechtsmarkt mit sich bringt. Weltweit und branchenübergreifend arbeiten Software-Anbieter an verschiedenen KI-Projekten und haben bereits erste KI-Tools auf den Markt gebracht. Über die aktuellen Entwicklungen und Produkte im deutschen Rechtsmarkt sprachen wir mit Dr. Dirk Schrameyer, LL.M. (USA), Leiter des Bereichs Digital Product Management Legal bei Wolters Kluwer in Deutschland.

LTV: Herr Schrameyer, wie sehen Sie die zukünftige Bedeutung von generativer KI im Rechtsmarkt?

Das Potenzial, durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz wie natürliche Sprachverarbeitung (Natural Language Processing, NLP) oder generativer KI (GenAI) das juristische Arbeiten weltweit zu revolutionieren ist riesig. Das ist zum einen getrieben durch den immer größer werdenden Mangel an Jurist:innen. Zum anderen durch die Veränderungen des juristischen Arbeitens selbst: Laut unserer aktuellen Future Ready Lawyer Studie, die wir jährlich unter 700 Jurist:innen weltweit durchführen, haben sich Technologien bereits als fester Bestandteil im Arbeitsalltag von Jurist:innen etabliert und verbessern ihre tägliche Arbeit. Insbesondere GenAI wird als einflussreicher Trend der kommenden drei Jahre angesehen, der sich auf die Bereiche Big Data und Predictive Analytics auswirken wird. Obwohl sich nicht alle Jurist:innen einig sind, ob GenAI eine Chance oder eine Bedrohung darstellt, planen dennoch 73 Prozent aller Befragten, in diesem Jahr mit GenAI zu arbeiten und sie für verschiedene Aufgaben einzusetzen, um die Effizienz zu steigern. Besonders ChatGPT und andere Large Language Sprachmodelle bieten spannende Möglichkeiten zur Automatisierung von Routinevorgängen und zur Bewältigung eines größeren Arbeitspensums in kürzerer Zeit. Jurist:innen erkennen zunehmend die Bedeutung von juristischen KI-Anwendungen, um große Datenmengen zu verarbeiten und komplexe Rechtsfragen zu analysieren.

Der Rechtsmarkt befindet sich also im Umbruch und setzt auf Innovationen wie generative KI, um den Arbeitsalltag von Jurist:innen zu verbessern. Anbieter von Softwarelösungen reagieren auf den steigenden Bedarf an Technologien im Allgemeinen und KI-gestützten Lösungen im Besonderen. Ein Beispiel dafür, wie KI-Technologie schon heute im juristischen Alltag sinnvoll zum Einsatz kommt, sind GPT (Generative Pre-trained Transformer) generierte Zusammenfassungen von Gerichtsurteilen und Beschlüssen verschiedenster Rechtsbereiche. Als einer der ersten Anbieter haben wir dieses Feature auf unserer Rechercheplattform Wolters Kluwer Online in einer kostenfreien Beta-Version bereitgestellt.

LTV: Was sind die GPT-Zusammenfassungen auf Wolters Kluwer Online und welchen Zweck erfüllt das neue Feature?

Die Verwendung GPT-generierter Zusammenfassungen von gerichtlichen Entscheidungen bietet eine schnelle und effiziente Möglichkeit, den Inhalt von Urteilen und Beschlüssen zu erfassen. Im Gegensatz zum Leitsatz, der nur einen Teil der Entscheidung wiedergibt, fasst GPT die gerichtliche Entscheidung als Ganzes zusammen, inklusive Sachverhalt und Verfahrensgang. Dies ermöglicht eine schnelle inhaltliche Bewertung der Entscheidungen und reduziert die Anzahl der Dokumente, die vollständig gelesen werden müssen. Somit können innerhalb kurzer Zeit genau die relevanten Entscheidungen identifiziert werden, die für einen bestimmten Sachverhalt von Bedeutung sind. Mit dem neuen KI-Feature möchten wir Jurist:innen eine Art Wegweiser durch die Informationsflut zur Verfügung zu stellen. Anstatt alle Entscheidungen zu lesen, hilft ihnen unsere GPT-Zusammenfassung dabei zu erkennen, ob eine Entscheidung lesenswert ist. Sie soll nicht das Lesen ersetzen, sondern den Jurist:innen Zeit sparen, indem nur die relevanten Entscheidungen zu lesen sind. Die GPT-Zusammenfassungen auf Wolters Kluwer Online sind bereits für Entscheidungen der letzten drei Jahre verfügbar, die alle Rechtsgebiete und Instanzen umfassen. Wir arbeiten daran, die Zusammenfassungen kontinuierlich auf den gesamten Bestand an Entscheidungen in unserer Datenbank auszuweiten.

LTV: Welche Expertise hat Wolters Kluwer im Bereich KI und wie wird diese genutzt, um digitale Lösungen zu entwickeln?

Die Erfahrungen des GPT-Hypes zeigen, wie wichtig Technologieanbieter sind, die sowohl inhaltliche als auch technologische Kompetenz haben und sorgfältig abwägen, wo KI-gestützte Lösungen sinnvoll sind. Weltweit arbeiten bei Wolters Kluwer mehr als 1.000 Spezialist:innen allein in der technologischen Forschung und Entwicklung – von der Programmierung über die Bereiche User Experience und Anwendungsentwicklung bis hin zu Computerlinguistik und Artificial Intelligence. Seit 2018 arbeiten wir bereits mit Sprachmodellen, die speziell auf juristisches Wissen trainiert werden, um kuratierten und rechtssicheren Content zu generieren. Diese vielfältige Expertise ermöglicht uns die Entwicklung marktreifer digitaler Lösungen und Komponenten.

Das Thema Datensicherheit ist uns dabei extrem wichtig. So nutzen wir bei den GPT-Zusammenfassungen auf Wolters Kluwer Online ausschließlich interne Daten von Wolters Kluwer und es findet kein Training des GPT-Algorithmus durch externe und interne urheberrechtlich geschützte Daten statt. Wir gewährleisten hohe Standards für Datenintegrität und -sicherheit, im Einklang mit der Verpflichtung von Wolters Kluwer, strenge Datensicherheitsprotokolle und die eigenen globalen KI-Prinzipien für unsere Kund:innen einzuhalten.

LTV: Wie geht Wolters Kluwer mit Produkt-Feedback um?

Alle Lösungen von Wolters Kluwer entstehen in enger Interaktion mit unseren Kund:innen und orientieren sich an deren Bedürfnissen. Wir setzen dabei regelmäßig auf Verprobungen und Evaluierungen der Produkte, auch schon in der Entwicklungsphase, und entwickeln bestehende Produkte kontinuierlich weiter.

Wir haben die GPT-Zusammenfassungen ganz bewusst bereits als kostenfreie Beta-Version bereitgestellt und fragen in diesem Entwicklungsstadium aktiv nach dem Feedback unserer Nutzer:innen. Dieses Feedback ist für uns sehr wichtig und wertvoll, um die Qualität der GPT-Zusammenfassungen kontinuierlich zu verbessern. Wir ermutigen unsere Nutzer:innen auf Wolters Kluwer Online, ihre Gedanken, Anregungen und Erfahrungen bei der Nutzung der GPT-Zusammenfassungen mit uns zu teilen und gehen auch direkt mit ihnen in den Austausch. Zugleich fließt das Feedback direkt in die Produktentwicklung ein, mit dem Ziel, das Produkt kontinuierlich und entsprechend den Kundenerwartungen zu verbessern.

LTV: An welchen konkreten KI-Projekten arbeitet Wolters Kluwer aktuell?

In der juristischen Recherche haben wir neben der neuen GPT-Zusammenfassung auch schon mit Legal Analytics erste Erfahrungen im Live-Betrieb gesammelt: Hier ermöglicht die KI die natürlichsprachige Eingabe juristischer Sachverhalte in der Suche. Tools wie LawTracker und Legal Assist analysieren Dokumente, zum Beispiel ein eingehendes Schreiben, auf rechtliche Referenzen und ermöglichen dann einen direkten Zugriff auf die Inhalte verschiedener juristischer Datenbanken wie Wolters Kluwer Online aus einem PDF- oder Word-Dokument heraus. Bei allen Entwicklungen geht es immer darum, KI-Komponenten zu entwickeln, die den Arbeitsprozess unserer Kund:innen an entscheidender Stelle vereinfachen und effizienter machen.

Die Idee der GPT-Zusammenfassung entstand übrigens bei Wolters Kluwer in Deutschland und wurde im Zusammenspiel mit internen Expert:innen in globalen Teams umgesetzt. Darauf sind wir natürlich besonders stolz. Der Launch erfolgte Anfang Dezember 2023. Seitdem erweitert die GPT-Zusammenfassung die Produktangebote der juristischen Recherche auf Wolters Kluwer Online um ein innovatives Feature.

Mit Legal Analytics, LawTracker, Legal Assist und der GPT-Zusammenfassung ist die Entwicklung KI-basierter Tools und Features für den Rechtsmarkt aber sicherlich erst am Anfang. Aktuell laufen bei Wolters Kluwer mehr als 50 dezentrale Experimente in verschiedenen Ländern, um mögliche Komponenten für den Markteinsatz zu entwickeln und zu testen. Mit unseren globalen Expert:innen arbeiten wir an weiteren innovativen Lösungen unter Einsatz von GenAI.
Die Zukunft im Rechtsmarkt bleibt aus meiner Sicht weiterhin spannend und hat durch die gezielte Anwendung von Sprachmodellen im juristischen Arbeitsprozess eine weitere interessante Komponente hinzugewonnen.

LTV: Vielen Dank.

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