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Der Einsatz von AI in Rechtsabteilungen – ein Erfahrungsbericht

Die Digitalisierung und Automatisierung von Rechtsprozessen ist kein neuer Trend, sondern eine Notwendigkeit, um mit der steigenden Komplexität, Geschwindigkeit und Menge von rechtlichen Anforderungen und Dokumenten Schritt zu halten. Dabei kann die künstliche Intelligenz (AI) eine wichtige Rolle spielen, um Rechtsabteilungen zu entlasten. Doch wie sieht der Einsatz von AI in der Praxis aus? Welche Herausforderungen und Erfolgsfaktoren gibt es? In diesem Beitrag beleuchte ich ausgewählte Aspekte, die bei der Implementierung und Nutzung von AI in Rechtsabteilungen berücksichtigt werden sollten.

Auswahl der Use Cases für den Einsatz von AI

Der erste Schritt für den Einsatz von AI in einer Rechtsabteilung ist die Auswahl der richtigen Use Cases, also der konkreten Anwendungsfälle, in denen AI einen Mehrwert schaffen kann. Dabei sollte man sich folgende Fragen stellen:

  • Welche Prozesse sind besonders zeitaufwändig, fehleranfällig oder repetitiv?
  • Welche Prozesse erfordern eine hohe Qualität, Konsistenz oder Compliance?

Zu wissen, in welchen Bereichen AI eingesetzt werden soll und in welchen nicht ist ein erster wichtiger Schritt zur Gewährleistung eines erfolgreichen Projekts. AI ermöglicht eine schnellere und umfassendere Recherche und Analyse von juristischen Daten, wie Gesetzen, Urteilen, Verträgen oder Dokumenten. Dies spart nicht nur Zeit und Kosten, sondern erhöht auch die Qualität und Sicherheit der Rechtsberatung, indem sie relevante Informationen, Risiken oder Chancen identifiziert und aufbereitet. Ein Beispiel dafür ist die Verwendung eines AI-Tools, das Verträge automatisch scannt, klassifiziert und extrahiert, um die wesentlichen Klauseln, Rechte und Pflichten zu erkennen und zu vergleichen. Dies erleichtert die Vertragsprüfung, -verhandlung und -gestaltung erheblich und reduziert das Risiko von Fehlern oder Konflikten.

Auswahl der «richtigen» AI-Software

Basierend auf den identifizierten Use Cases sollte die Auswahl der «richtigen» AI-Software erfolgen. Dabei sollte man sich folgende Fragen stellen:

  • Welche Anforderungen hat man an die AI-Software in Bezug auf Funktionalität, Benutzerfreundlichkeit, Integration, Skalierbarkeit und Sicherheit?
  • Welche Anbieter gibt es auf dem Markt, die die AI-Software anbieten oder entwickeln können?
  • Welche Kriterien und Methoden verwendet man, um die AI-Software zu evaluieren und zu vergleichen?

Um die AI-Software auszuwählen, wird oftmals ein mehrstufiger Prozess durchlaufen, der folgende Schritte umfasst:

  • Die Erstellung eines Anforderungskatalogs, der die gewünschten Funktionen, Schnittstellen, Standards und Kriterien für die AI-Software definiert
  • Die Durchführung einer Marktanalyse, um potenzielle Anbieter zu identifizieren
  • Die Durchführung einer Proof of Concept, um die AI-Software anhand von realen Daten zu testen und zu vergleichen

Defintion von Business Risk Rules

Business Risk Rules sind Richtlinien, die den Einsatz von AI in Rechtsabteilungen regeln und steuern. Um diese zu implementieren, stehen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung:

  • Einrichtung einer interdisziplinären Arbeitsgruppe, die sich regelmäßig über die AI-Anwendungen austauscht und Best Practices teilt, die Probleme und Verbesserungsmöglichkeiten identifiziert und die Business Risk Rules überprüft und anpasst.
  • Schulung und Sensibilisierung für die Nutzer der AI-Anwendungen, die ihnen die Grundlagen, die Vorteile, die Risiken und die Business Risk Rules der AI vermittelt, sowie praktische Tipps und Beispiele für den Umgang mit der AI.
  • Einrichtung eines Feedbackmechanismus, der es den Nutzern ermöglicht, ihre Meinungen, Fragen oder Anregungen über die AI-Anwendungen zu äußern und eine angemessene Antwort oder Lösung zu erhalten.

Change Management und User Training

Ein weiterer wichtiger Aspekt für den Einsatz von AI in einer Rechtsabteilung ist das Change Management und User Training, also die Begleitung und Schulung der Nutzer, die mit der AI-Software arbeiten sollen. Dabei sollte man sich folgende Fragen stellen:

  • Wie kann man die Nutzer für die AI-Software begeistern und motivieren?
  • Wie kann man die Nutzer auf die Veränderungen in ihren Arbeitsabläufen vorbereiten und unterstützen?
  • Wie kann man die Nutzer in die Entwicklung und Verbesserung der AI-Software einbinden und Feedback einholen?

Dabei können verschiedene Maßnahmen ergriffen werden, wie zum Beispiel:

  • Die Einrichtung eines Projektteams aus Rechts- und IT-Experten, die als Multiplikatoren und Ansprechpartner für die Nutzer fungieren
  • Die Durchführung von Workshops und Webinaren, um die Nutzer über die Ziele, Funktionen und Vorteile der AI-Software zu informieren und zu schulen
  • Die Bereitstellung von Test- und Trainingsumgebungen, um die Nutzer mit der AI-Software vertraut zu machen und zu üben
  • Die Erstellung von Handbüchern, FAQs und Videos, um die Nutzer bei der Anwendung der AI-Software zu unterstützen und zu leiten
  • Die Einrichtung eines Feedback-Kanals, um die Nutzer um ihre Meinung, Erfahrungen und Verbesserungsvorschläge zu bitten und diese in die Weiterentwicklung der AI-Software einzubeziehen

Human in the Loop

Das wohl wichtigste Prinzip beim Einsatz von AI ist «Human in the Loop». Das bedeutet, dass der Output der AI nicht einfach blind übernommen wird, sondern von einem qualifizierten Rechtsexperten überprüft, validiert und gegebenenfalls korrigiert wird. Dies hat mehrere Gründe:

Erstens ist die AI nicht fehlerfrei, sondern kann je nach Datenqualität, Algorithmus und Anwendungskontext falsche oder unvollständige Ergebnisse liefern. Dies kann zu Risiken führen, wenn beispielsweise Verträge falsch interpretiert werden. Daher ist es unerlässlich, dass der Rechtsexperte die AI-Ergebnisse kritisch hinterfragt und gegebenenfalls anpasst oder ergänzt.

Zweitens ist die AI nicht autonom, sondern abhängig von den Vorgaben, die der Rechtsexperte ihr macht. Das bedeutet, dass der Rechtsexperte die AI nicht nur als ein Werkzeug, sondern als einen Partner betrachten muss, der seine Anforderungen, Ziele und Präferenzen versteht und umsetzt. Daher ist es wichtig, dass der Rechtsexperte die AI trainiert, konfiguriert und überwacht, um sicherzustellen, dass sie die gewünschten Ergebnisse liefert und sich kontinuierlich verbessert.

Drittens ist die AI nicht immer neutral, sondern kann bewusste oder unbewusste Bias enthalten, die die Rechtsberatung beeinflussen können.

Fazit

Der Einsatz von AI in einer Rechtsabteilung ist kein Selbstläufer, sondern ein anspruchsvolles Projekt, das eine sorgfältige Planung, Umsetzung und Begleitung erfordert. Dabei sind insbesondere folgende Schritte entscheidend: die Auswahl der richtigen Use Cases, das Change Management und User Training, die Auswahl der richtigen AI-Software, die Definition von Business Risk Rules für den Umgang von AI und das Prinzip «Human in the Loop». Wenn diese Schritte erfolgreich durchgeführt werden, kann AI eine Bereicherung für die Rechtsabteilung sein, die zu mehr Effizienz führt.

Autor: Philipp Rosenauer ist Partner bei PwC Schweiz. In seiner Position ist er für die Leitung von rechtlich regulatorischen Umsetzungsprojekten im Bereich AI und Datenschutz verantwortlich. Ebenso verantwortet er den Roll-Out von Harvey AI bei PwC in der Schweiz und berät Unternehmen im Zusammenhang mit den neuen EU Artificial Intelligence Act. Darüber hinaus ist Philipp ständiger Dozent im LLM- und MBA-Programm an der Universität Liechtenstein und Referent an verschiedenen Veranstaltungen zum Thema Datenschutz.

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