Fachartikel

BGH-Urteile zu smartlaw und Sammelklage-Inkasso: Ein entscheidender Sommer für Legal Tech!

Anfang des Jahres 2021 sah die Welt für manche Legal Tech Angebote nicht ganz so rosig aus. Nur ein Jahr nach dem Grundsatzurteil zu wenigermiete.de hatten mehrere Gerichte Bedenken gegen die gebündelte Durchsetzung von Kundenforderungen angemeldet und es zeigte sich, dass auch die BGH-Formel dazu, was „(noch)“ von der Inkassolizenz gedeckt ist, nicht überall zu Rechtssicherheit geführt hatte.

Nur wenige Monate später ist vieles anders. Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zum Legal Tech-Inkasso einige Streitfragen befriedet. Und auch der Bundesgerichtshof war alles andere als untätig. Er hat seine Entscheidungssammlung um gleich zwei Grundsatzurteile bereichert und dabei seine liberale Auslegungslinie zum Rechtsdienstleistungsgesetz bestätigt. Beide Urteile beseitigen zentrale Streitfragen rund um die Zulässigkeit von Legal Tech Angeboten und werden den Markt nachhaltig prägen:

Vertragsgeneratoren sind keine Rechtsdienstleistungen

Die aktuellste Entscheidung betrifft den Vertragsgenerator „smartlaw“ des Verlagshauses Wolters Kluwer, bei dem Nutzer durch eine Serie von Multiple Choice Fragen navigieren und auf Basis der Antworten aus vorgefertigten Textbausteinen ein Vertrag erstellt wird. Die Hanseatische Rechtsanwaltskammer Hamburg war der Auffassung, dass diese Form der Vertragsgestaltung Rechtsanwälten vorbehalten sei. Der Bundesgerichtshof hat nun klargestellt, dass Vertragsgeneratoren keine regulierte Rechtsdienstleistung sind und auch von „Nicht-Anwälten“ angeboten werden dürfen (BGH, Urteil vom 9. September 2021 – I ZR 113/20) und räumt damit zugleich den Weg frei für sonstige rechtliche Beratungsprodukte, die nicht den Anspruch erheben, auf individuelle Kundeninteressen zugeschnitten zu sein.
Noch liegen die Entscheidungsgründe nicht vor, die Pressemitteilung lässt jedoch erkennen, welche Kernargumente der Entscheidung zugrunde liegen: Das Gericht zieht eine Parallele zu Formularverträgen, deren Klauseln nicht mit Blick auf einen individuellen Fall, sondern vorab für eine Vielzahl vergleichbarer Fälle entworfen werden. Ebenso liefert auch der Vertragsgenerator keine Antworten für ein konkretes Anliegen, sondern erstellt Vertragsvorlagen aus einer typisierenden Betrachtung heraus. Der Bundesgerichtshof stellt außerdem die Nutzererwartung ins Zentrum seiner Bewertung: Eine erlaubnispflichtige Rechtsdienstleistung liege auch deshalb nicht vor, weil Nutzer des Vertragsgenerators eine rechtliche Prüfung ihres konkreten Falls gar nicht erwarten.

Diese Argumente überzeugen. Denn der Gesetzgeber hat rechtsberatende Tätigkeiten deshalb einer Erlaubnispflicht unterworfen, weil Mandanten geschützt werden sollen, wenn sie mit einem Anliegen individuelle Rechtsberatung in Anspruch nehmen. Diesem Bild entsprechen weder die Funktionsweise des Generators noch die Erwartung des Nutzers. Gerade letztere sollte aber den Ausschlag geben. Denn wenn schon der Nutzer nicht davon ausgeht, er würde eine individuelle Beratungsleistung in Anspruch nehmen, gibt es keinen Grund ihn zu schützen. Zugleich sollte die Trennlinie dort verlaufen, wo für den Nutzer nicht erkennbar ist, ob er eine individuelle Beratungsleistung in Anspruch nimmt oder nicht.

Das Urteil ist auch rechtspolitisch richtig. Generatoren von Rechtstexten verschaffen Verbrauchern und Kleinstunternehmen einen niederschwelligen Zugang zum Recht in Bereichen, in denen sie keine individuelle Rechtsberatung in Anspruch nehmen wollen. Wenn die Natur des Angebots für den Nutzer erkennbar ist, spricht nichts dagegen, ihm die Wahl zu lassen, ob er sich für eine individuelle Beratungsleitung oder ein Standard-Angebot entscheidet, das lediglich eine typisierende Risikobewertung leistet. Eine Pointe des Urteils ist, dass smartlaw in seiner Werbung diese Grenzen selbst verwischt hatte, indem es mit „Leistungen in Anwaltsqualität“, die „günstiger und schneller als der Anwalt“ seien, und ähnlichen Formulierungen warb. Der Senat muss davon ausgegangen sein, dass Nutzer die Funktionsweise von Vertragsgeneratoren dennoch verstehen. Ob derartige Vergleiche wettbewerbsrechtlich zulässig sind, steht auf einem anderen Blatt. Sie wurden bereits erstinstanzlich als „insgesamt irreführend“ untersagt.

Sammelklagen-Inkasso ist zulässig

Die zweite Grundsatzentscheidung, betrifft die Zulässigkeit von „Sammelklage-Inkasso“ (Urteil vom 13. Juli 2021 – II ZR 84/20). Das deutsche Prozessrecht sieht Sammelklagen nicht vor. Nur über eine Bündelung abgetretener Forderungen lässt sich ein vergleichbarer Effekt erreichen: Kunden treten ihre Ansprüche an einen Inkassodienstleister ab, der sämtliche Kostenrisiken übernimmt. Nur im Erfolgsfall wird ein Anteil (in diesem Fall 35 %) des Erlöses als Vergütung fällig. Durch die Bündelung ergeben sich im Vergleich zu Einzelklagen Effizienzgewinne und es wird Verhandlungsmacht geschaffen. Einige Landgerichte (LG München I, LG Ingolstadt, LG Braunschweig) hatten das Sammelklagen-Modell von myright zuletzt allerdings als unzulässige Überschreitung der Inkassoerlaubnis gesehen. Eine Rechtsauffassung mit verheerenden Folgen, weil damit zugleich die Abtretung der Kundenforderung scheitern und die mit den Sammelklagen verfolgten Ansprüche endgültig nicht durchgesetzt werden können.

Der BGH hatte aber nicht über eine dieser spektakulären Sammelklagen entschieden, in denen tausende Schadensersatzforderungen im Zusammenhang mit Dieselskandal und Lkw-Kartell zu Multi-Millionenklagen gebündelt werden und um die eine juristische Abwehrschlacht tobt. Es ging um das Modell des Legal Tech Anbieters Airdeal, der Entschädigungsansprüche von Fluggästen im Zusammenhang mit der Air-Berlin Insolvenz eingeklagt hatte.

Der BGH hat in klaren Worten zu Gunsten von Sammelklage-Inkasso entschieden und erneut betont, dass die Berufsausübungsfreiheit zu einer weiten Auslegung der Inkassobefugnis zwingt. Im Zusammenhang mit der Durchsetzung von Kundenforderungen sei deshalb alles erlaubt, was das Prozessrecht nicht ausdrücklich Rechtsanwälten vorbehält. Und das ist letztlich nur die unmittelbare Kommunikation mit dem Gericht. Es spreche also nichts dagegen, wenn Inkassounternehmen Sammelklagen organisieren, strategisch steuern und an der Prozessführung mitwirken, solange die gerichtliche Durchsetzung über einen Rechtsanwalt erfolgt.

Das Gericht nimmt auch in diesem Fall die Kundenperspektive ein und kommt zu dem Ergebnis, dass die mit dem Angebot verbundenen Nachteile keine einschränkende Auslegung des Inkassotatbestands rechtfertigen können, da Kunden im Gegenzug von den Vorteilen der Sammelklage profitieren. Es sei danach auch nicht schädlich, wenn in einer Sammelklage der Blick für den Einzelfall ein Stück weit verloren geht oder unwiderrufliche Vergleiche für den Kunden abgeschlossen werden, in denen ihre Einzelinteressen nicht in vollem Umfang berücksichtigt werden. Auch da, wo manche einen unzulässigen Interessenkonflikt verorten, nämlich bei der Kombination von Inkasso und Prozessfinanzierung, sieht der BGH ein aus Kundensicht einheitliches Angebot, das naturgemäß keinen Konflikt zwischen unterschiedlichen Leistungspflichten begründen kann. Nur mit Blick auf die gebündelten Ansprüche formuliert der BGH eine Voraussetzung, die zukünftig der zentrale Maßstab für die Beurteilung der Zulässigkeit von Bündelungsmodellen sein wird: Die Ansprüche müssen „im Wesentlichen gleichartig“ und ihre „Durchsetzungsaussichten vergleichbar“ sein. Der Bundesgerichtshof vermeidet weitere Festlegung und überlässt es den Gerichten im Einzelfall zu beurteilen, wann diese Voraussetzungen „(noch)“ erfüllt sind.

Autor: Martin Lose ist Rechtsanwalt im Hamburger Büro der internationalen Wirtschaftskanzlei Fieldfisher. Er berät umfassend zu digitalen Geschäftsmodellen. Ein Tätigkeitsschwerpunkt liegt in der rechtssicheren Ausgestaltung von Legal Tech Geschäftsmodellen und deren Verteidigung gegen wettbewerbsrechtliche Angriffe. Er ist Gründungsmitglied des Legal Tech Verband Deutschland e.V.

- WERBUNG -