Bundesweite Premiere der ersten volldigitalen juristischen Präsenzklausur an der Uni Bielefeld
An der Universität Bielefeld wurde am 16. Dezember 2024 zum ersten Mal eine volldigitale Juraklausur geschrieben. Dabei handelt es sich bundesweit um eine Premiere. Mehrere Bundesländer, darunter Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Bayern und Baden-Württemberg, haben bereits die Möglichkeit geschaffen, die Staatsexamen auch mit einer digitalen Schreibsoftware am Computer abzulegen. Weitere Bundesländer werden nachziehen. Die Korrektur findet aber immer noch auf Papier statt und die zugelassenen Hilfsmittel wie Gesetzestexte müssen weiterhin in gedruckter Form mitgebracht werden. Die Universität Bielefeld ist damit nun erstmals einen Schritt weiter gegangen. Neben der Prüfungssoftware Classtime, auf der in Bayern bereits die juristischen Staatsexamen geschrieben werden, kam mit LexMea erstmals auch ein digitales Gesetzbuch mit Annotationsfunktion zum Einsatz.
Geschrieben wurde die digitale Klausur im Computerraum mit 30 Sitzplätzen in einer besonders sicheren und abgeschirmten Umgebung. Diese erlaubte lediglich den Zugriff auf die Schreibsoftware Classtime sowie auf das im Splitscreen daneben geöffnete Online-Gesetzbuch LexMea. Die Studierenden konnten sich bei LexMea mit ihrem eigenen Account einloggen und so auf ihre eigenen, während der Vorlesung und Klausurvorbereitung angelegten Personalisierungen wie Unterstreichungen, Highlights und Verlinkungen zugreifen. Ein Zugriff auf Lehrinhalte oder eigens angelegte Notizen oder Schemata war in der Prüfungssituation dagegen nicht möglich.
„Das E-Examen ist ein Fortschritt. Es muss aber medienbruchfrei gestaltet werden, also auch den Zugriff auf digitale Gesetze erlauben. Dies erproben wir hier mit LexMea. Unser Pilotprojekt zeigt, wie digitale Tools die Qualität juristischer Lehre und Prüfungen erheblich verbessern“, erklärt Professorin Dr. Herberger.
Die Korrektur erfolgt nun parallel manuell durch einen menschlichen Korrektor, sowie andererseits durch die KI-Software DeepWrite, einem BMBF-Projekt unter Leitung der Universität Passau, und von KlausurenKIste, einer Ausgründung aus der Universität Köln. Die unterschiedlichen Ergebnisse werden anschließend detailliert verglichen und ausgewertet.
Einbettung in digitale Lehre
Mit dem Pilotprojekt geht die Universität Bielefeld nicht nur bei der digitalen Prüfung einen Schritt in die Zukunft. Vor allem Prof. Dr. Marie Herberger und Prof. Dr. Thomas Wischmeyer haben in ihren Vorlesungen bereits seit einigen Monaten LexMea in der Lehre eingesetzt. Lehrenden bietet LexMea etwa die zusätzliche Möglichkeit, in sogenannten Broadcast-Kanälen Lehrmaterialien direkt an den dazugehörigen Normen mit Studierenden oder auch Referendaren zu teilen.
Der digitale juristische Arbeitsplatz
Entstanden ist LexMea bereits 2020, nachdem die Brüder Michael und Tobias Strecker während ihrer Lehrtätigkeiten an der Universität Bielefeld, dem King’s College London und der Humboldt-Universität zu Berlin zunehmend feststellten, dass die Arbeit mit gedruckten Gesetzbüchern den Bedürfnissen des modernen juristischen Arbeitens nicht mehr gerecht wird, aber auch keine zufriedenstellenden digitalen Alternativen existieren. Seither wurde LexMea vor allem an der Universität Bielefeld und am King’s College London getestet und im Frühjahr 2024 schließlich nach umfassenden Tests, Iterationen und Verbesserungen öffentlich zugänglich gemacht. Momentan wird LexMea jeden Monat von ca. 16.000 Juristinnen und Juristen genutzt.
Auf der kostenfreien Plattform www.lexmea.de steht unter anderem ein Online-Gesetzbuch, angereichert mit all jenen Annotationsfunktionen zur Verfügung, die auch in einem der Bundesländer in den juristischen Staatsexamen zugelassen sind. So lassen sich Normen mit Lesezeichen versehen, Textteile markieren und unterstreichen und klickbare Verweise zu anderen Normen anlegen. Zudem können aber auch Notizen und andere Dokumente an Normen angeheftet werden, was das Verwalten des eigenen juristischen Wissens erlaubt. An wichtigen Normen zeigt LexMea bereits frei zugänglich zahlreiche Übersichten und Schemata an.
Die Normtexte werden täglich anhand der offiziellen Gesetzesportale auf Aktualität überprüft. Bei Gesetzesänderungen werden die Normen automatisch angepasst. Dabei werden Annotationen so weit wie möglich in die neue Fassung übernommen. Alte Gesetzesfassungen werden versioniert und bleiben weiterhin zugänglich. Ein aufwändiges Nachsortieren und Übertragen von Annotationen, wie bei gedruckten Gesetzessammlungen, entfällt.
Eine Vision für die Zukunft
Die erfolgreiche Durchführung dieses Pilotprojekts sendet ein starkes Signal: Ein einheitlicher digitaler Arbeitsplatz, der digitales Gesetzbuch, Lernplattform und E-Prüfungssoftware zugleich ist, kann die juristische Ausbildung effizienter, nachhaltiger und attraktiver gestalten. Er kann vor allem helfen, die Unmengen an Ausbildungsstoff handhabbarer zu machen.
Die Ausbildungsnachrichten sind in letzter Zeit eher geprägt von Negativnachrichten, die sich etwa unter dem Hashtag #iurserious versammeln. Bis 2030 gehen 40.000 Richterstellen in Rente und bereits jetzt senken die Bundesländer die Einstiegsvoraussetzungen ab. „Gute, digitale Arbeitsmittel sind keine reine Spielerei. Sie sind eine Grundvoraussetzung für die Nachwuchsgewinnung und somit für die Stabilität unseres Rechtsstaates.“, betont Michael Strecker, Mitgründer von LexMea und Doktorand am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Recht der Digitalisierung an der Universität Bielefeld. Die größten Herausforderungen auf dem Weg zur flächendeckenden volldigitalen Klausur sieht er in den begrenzten Kapazitäten der PC-Räume der Universitäten. Auch die Prüfungsämter aller Bundesländer müssten einzeln überzeugt werden. „Entgegen vieler Vorstellungen sitzen hier sehr engagierte Personen, von denen viele sehr nutzerorientiert denken und die Bereitschaft haben, neue Dinge auszuprobieren. Das stimmt mich sehr zuversichtlich.“