Richterin rügt Unternehmer für Einsatz eines KI-Avatars vor Gericht

Der 74-jährige Jerome Dewald, Gründer des Legal-Tech-Start-ups Pro Se Pro, hat im März 2025 für Aufregung vor dem Berufungsgericht des US-Bundesstaats New York gesorgt. In einem Arbeitsrechtsverfahren gegen die Versicherungsgesellschaft MassMutual Metro New York ließ Dewald einen KI-generierten Avatar namens „Jim“ vor Gericht für ihn sprechen – sehr zum Missfallen der Richterin.
KI statt persönlicher Auftritt
Dewald hatte im Vorfeld darum gebeten, seine mündlichen Ausführungen per Video einreichen zu dürfen, da ihm das längere Sprechen laut eigener Aussage schwerfällt – ein gesundheitliches Erbe seiner Kehlkopfkrebs-Erkrankung vor 25 Jahren. Das Gericht stimmte dem Antrag zu. Allerdings informierte Dewald nicht darüber, dass im Video kein echter Mensch, sondern ein digital generierter Avatar zu sehen und hören sein würde.
In dem eingereichten Video begrüßt ein Mann im V-Ausschnitt-Pullover das Gericht mit den Worten: „Now may it please the court, I come here today a humble pro se before a panel of five distinguished justices…“. Bereits nach wenigen Sekunden unterbrach Richterin Sallie Manzanet-Daniels die Vorführung irritiert und fragte: „Ist das der Anwalt in diesem Fall?“ Dewald antwortete: „Den habe ich generiert. Das ist keine echte Person.“
Die Richterin reagierte deutlich: „Es wäre nett gewesen, das zu wissen, als Sie Ihren Antrag gestellt haben. Sie haben mir das nicht gesagt, Sir.“ Sie kritisierte zudem, Dewald habe das Gericht als Werbeplattform für sein Unternehmen nutzen wollen.
Technische Probleme führen zu „Jim“
Eigentlich hatte Dewald geplant, ein digitales Abbild seiner selbst einzusetzen. Die Software des KI-Start-ups Tavus benötigt dafür ein kurzes Video sowie ein stehendes Bild, um ein realistisches Avatar-Modell zu erzeugen. Zwei Versuche schlugen fehl – jeweils nach mehreren Stunden Rechenzeit. Aus Zeitnot griff Dewald schließlich auf einen vorgefertigten Standard-Avatar namens „Jim“ zurück, den er als „großen, schönen Kerl“ bezeichnete.
„Mit meinem Basis-Tarif kann ich nur drei Avatare im Monat generieren. Ich wollte sparsam sein, aber es hat nicht geklappt“, so Dewald. Als „Jim“ vor Gericht zu sprechen begann, wurde das Video sofort gestoppt. Danach trug Dewald seine Argumente selbst vor.
Sympathie nach Kritik?
Trotz des schroffen Starts empfand Dewald später, dass sich die Stimmung der Richterin milderte, als er persönlich zu sprechen begann. „Sie schien fast Mitleid zu haben, dass sie mich so angefahren hatte“, sagte er im Gespräch mit The Register.
KI im Gerichtssaal: Zukunft oder Fehlstart?
Dewald sieht in seinem Vorgehen keinen Täuschungsversuch, sondern eine innovative Lösung für Menschen, die sich selbst vor Gericht vertreten müssen. Mit Pro Se Pro entwickelt er eine Plattform, die solche Personen unterstützen soll – etwa durch automatische Video-Erklärungen. Dennoch räumt er ein, dass Gerichte auf diese Technologien noch nicht vorbereitet seien: „Sie waren auf eine Präsentation vorbereitet – aber nicht auf ein künstlich generiertes Bild.“
Der Vorfall zeigt einmal mehr die Herausforderungen, die beim Einsatz von KI im Justizbereich entstehen. Während in der Vergangenheit bereits Anwälte für die Nutzung fehlerhafter KI-generierter Schriftsätze gerügt wurden, geht es hier um die Frage der Identität und Echtheit im Gerichtssaal.
Ob solche KI-Anwendungen künftig zulässig oder gar nützlich sein können, bleibt offen. Klar ist: Transparenz und Vertrauen sind essenziell – gerade dann, wenn Maschinen für Menschen sprechen sollen.