Legal Tech – Kanzleien, Kommunikation und Kommerzialisierung
Legal Tech, Legal Operations und KI haben sich in den letzten Jahren zu unverzichtbaren Werkzeugen für Kanzleien entwickelt, die ihre Effizienz steigern und neue Geschäftsmodelle erschließen wollen. Doch wie weit sind Deutschlands Top-Kanzleien in der Nutzung, Vermarktung und Kommerzialisierung dieser Technologien?
Ich habe kürzlich eine kleine Analyse zum Einsatz von Legal Tech, Legal Operations und KI (nachfolgend vereinfacht „Legal Tech“) in Deutschlands Top-Kanzleien abgeschlossen und bin zu einigen interessanten Erkenntnissen gelangt.
Für die Analyse habe ich die öffentlich zugänglichen und die mir aus persönlichen Gesprächen bekannten Daten und Fakten zum Einsatz, zur Kommunikation und zur Kommerzialisierung von Legal Tech in 36 in Deutschland tätigen Top-Kanzleien gebündelt und ausgewertet. Die betrachteten Kanzleien habe ich im Wesentlichen über das Juve Ranking und die Jahresumsätze 2023 ausgewählt. Der Fokus lag damit auf größeren Einheiten beziehungsweise Großkanzleien.
Die Analyse belegt den großen Stellenwert von Legal Tech für den Rechtsmarkt. Zugleich machen die Ergebnisse deutlich, dass noch Potenziale auszuschöpfen sind, beispielsweise mit Blick auf die Kommerzialisierung von Digital Legal Products (digitalen Rechtsdienstleistungen), bei der Kommunikation „digitaler Erfolgsgeschichten“ und der Vermarktung der dahinterstehenden Teams.
Wie Kanzleien Legal Tech einsetzen und darüber sprechen
Von den untersuchten Kanzleien stellen rund 69 % Legal Tech in relevantem Umfang auf ihren Webauftritten dar (vgl. Abbildung 1).
Was die bloßen Zahlen nicht verraten: Die Intensität und Häufigkeit der Kommunikation zu Legal Tech variiert stark.
Bei einigen Kanzleien gehen die Tech-Themen zwischen den anderen Websiteinhalten unter, weil sie nur gelegentlich als News-Beitrag oder in den Profilen einzelner Praxisgruppen oder Berater/innen auftauchen. Zuweilen sind Legal Tech Inhalte auch komplett von der übrigen Kommunikation der Kanzleien getrennt, beispielsweise, weil für Legal Tech ein eigener Blog unterhalten wird oder weil die Legal Tech Einheit der Kanzlei organisatorisch selbstständig innerhalb einer ausgegründeten Gesellschaft operiert.
Andere Kanzleien gehen deutlich offensiver mit Legal Tech um und stellen ihre Inhalte leicht auffindbar ins Schaufenster, etwa auf einer direkt in der Navigationsleiste verlinkten, eigenen Microsite.
Nur selten werden die Legal Tech Teams auf den Kanzleiseiten vorgestellt. Die Darstellung der Personenprofile bleibt in den allermeisten Fällen den Beratern und Beraterinnen vorbehalten.
Dabei unterhalten (mindestens) 67 % der untersuchten Kanzleien eine eigene, zentrale Legal Tech Einheit (vgl. Abbildung 2).
Diese Erkenntnisse erscheinen vielleicht trivial. An ihnen zeigt sich aber, dass die Kanzleien sich damit auseinandersetzen müssen, welchen Stellenwert sie ihren Bestrebungen in Sachen Legal Tech neben ihrer unbestrittenen Kernkompetenz (Rechtsberatung im Mandat) und anderen Fokusthemen auch in der Kommunikation nach außen einräumen wollen. Hier bieten sich für die Kanzleien noch Möglichkeiten, um herauszustechen: Sei es durch einen sehr breiten, umfangreichen Auftritt mit diversen kleinen digitalen Produkten, durch einen reduzierteren, aber dafür detaillierten und ausgereiften Output oder aber dadurch, Legal Tech ausschließlich als Hilfsmittel für eine optimale Beratung der Mandanten zu verstehen und dem Thema folgerichtig keinen gesonderten Platz in der Kommunikation einzuräumen.
Kommunikation zum Einsatz von KI
Die Analyse bestätigt meinen persönlichen Eindruck, dass der Hype um künstliche Intelligenz (KI) in den meisten Kanzleien längst angekommen ist, der Einsatz von KI bislang aber zu wenig handfesten, vorzeigbaren Ergebnissen geführt hat. So kommunizieren zwei von drei Kanzleien (64 %) offen, dass sie KI einsetzen. Sie werden sicherlich in den vergangenen Monaten häufiger über Meldungen gestolpert sein, dass eine weitere Kanzlei eine Partnerschaft mit Harvey AI eingegangen ist, selbstgebaute Chat-Bots im Einsatz hat oder die JUNE verwendet.
Im Verhältnis dazu stößt man selten auf Erfolgsgeschichten zu konkreten Einsätzen im Mandat. Da liegt die Vermutung nah, dass wir mit dem KI-Boom Zugriff auf eine wunderbare neue Technologie erhalten haben, häufig aber noch nicht wissen, wie und wofür wir diese eigentlich einsetzen können.
Kommerzialisierung digitaler Produkte
Immer mehr Kanzleien setzen Legal Tech nicht nur im konkreten Mandat ein, etwa um die Mandatsbearbeitung effizienter zu gestalten, sondern entwickeln selbst digitale Produkte, die sie entweder direkt über die Website als Marketingtools veröffentlichen oder sogar als SaaS-Lösungen direkt monetarisieren (rund 50 %). Hier gibt es eine große Spannbreite sowohl hinsichtlich des Reifegrads der Lösungen als auch bezüglich der – häufig sehr zurückhaltenden – Bewerbung der Produkte. Hier können wohl alle Kanzleien noch etwas dazu lernen: Beim Vertrieb (digitaler) Produkte funktioniert Akquise eben anders als in der klassischen Rechtsberatung.
Ein Beispiel: Eine Kanzlei bietet eine Anwendung an, mit der Kunden durch das Befüllen eines dynamischen Fragenkatalogs eine rechtliche Einschätzung zu etwaigen Risiken bei Investitionen in bestimmte Länder erhalten können. Die Kanzlei beschreibt das Tool auf ihrer Website detailliert, verweist auf entsprechende Rechtsnormen und Newsbeiträge der Kanzlei zu dem Thema. Nur Screenshots, ein Video oder eine sonstige Visualisierung der technischen Umsetzung dieses „Checkers“ gibt es nicht. Stattdessen die Bitte, man möge sich bei Interesse an Ansprechpartner XY wenden.
Hier wird eine Hürde – die direkte Kontaktaufnahme – aufgebaut, noch bevor das Interesse bei vielen Betrachtern wirklich nachhaltig geweckt sein dürfte. Über die Gründe lässt sich trefflich spekulieren: Ein starker Zug zur Sachlichkeit oder die Angst, zu viel von der Lösung zu offenbaren und der Konkurrenz zu zeigen, wie und gegebenenfalls mit welchem Software-Partner man arbeitet?
Ich würde jedenfalls eher selbst aktiv werden und auf einen Ansprechpartner bei der Kanzlei zugehen, wenn ich zuvor schon einen Eindruck von der Nutzeroberfläche und den Funktionen der Anwendung erhalten habe.
Unabhängig davon zeigt sich auch beim Thema Kommerzialisierung das Spannungsfeld zwischen dem absoluten Fokus auf das anwaltliche Kerngeschäft, der für Kanzleien unabdingbar ist, um exzellente Beratung im Top-Segment anbieten zu können, und dem Erschließen neuer Geschäfts- und Akquisekanäle. Diverse Kanzleien entscheiden sich bewusst gegen die Entwicklung und den Vertrieb von Digital Legal Products, um 100 % der Ressourcen auf die Beratung im Mandat verwenden zu können. Andere erschließen sich darüber neue Geschäftsfelder und potenziell auch neue Mandate. Welcher Ansatz erfolgreicher ist, wird die Zeit zeigen.
Use your assets!
Die Entscheidung zum Umgang mit Legal Tech muss jede Kanzlei für sich treffen. Sie wird insbesondere von der Kanzleigröße (Mitarbeiterzahl und Umsatz), der Ausrichtung (Transaktionen, Full-Service oder Boutique) und dem angestrebten Image im Markt abhängen.
Wenn eine Kanzlei allerdings den Entschluss gefasst hat, auf Legal Tech zu setzen und entsprechende Experten(-teams) aufzubauen, dann sollte sie dies im eigenen Interesse möglichst gut vermarkten. Mandanten achten immer mehr auch auf die digitale Kompetenz ihrer externen Berater. Häufig ist diese Kompetenz am Ende mitentscheidend, welche Kanzlei einen Pitch gewinnt (Beispiel: Abwehr von Massenklagen). Da schadet es sicher nicht, wenn man seine digitale Kompetenz auch an anderer Stelle zur Schau stellt.
In diesem Sinne: Sprechen Sie über Ihre Legal Tech Erfolge und zeigen Sie zum Beispiel mit Case Studies, welches Expertenwissen Sie im Bereich Legal Tech vorhalten! Ich bin sicher, wir können alle eine Menge voneinander lernen.
Autor: André Ludwig ist Rechtsanwalt und Legal Engineer bei der international agierenden Großkanzlei Noerr. Er blickt auf eine mehrjährige Tätigkeit als Associate im Bereich Class & Mass Action Defense zurück und treibt seit 2022 als Teil des kanzleieigenen Digital Excellence Teams die digitale Weiterentwicklung der Beratungspraxis bei Noerr voran. André Ludwig ist als Projektleiter und technisch Verantwortlicher maßgeblich an der Weiterentwicklung und dem Betrieb des Noerr Contractor Compliance Checks, eines digitalen Produkts zur rechtsicheren Überprüfung von Fremdpersonaleinsätzen beteiligt.