Innovating Justice Forum 2021 & Legal Design

Innovating Justice Forum 2021 & Legal Design

09.02.21 – Das Innovating Justice Forum 2021 HiiL und warum Legal Design im Bereich Zugang zum Recht auch hier in Deutschland eine immer wichtigere Rolle spielen sollte. Ein Impuls von Astrid Kohlmeier.

Noch schnell registrieren und sich Anregungen holen. Das in Den Haag ansässige HiiL (The Hague Institute for Innovation of Law) veranstaltet in dieser Woche das Innovating Justice Forum 2021 und diskutiert sehr interessante Beispiele aus der ganzen Welt zum Thema „access to justice“. Die Veranstaltung dauert noch bis einschließlich morgen und es lohnt sich für alle, die sich auch hier in Deutschland mit Themen wie z.B. der Reform der Zivilgerichte und/oder dem Zugang zum Recht in Deutschland beschäftigen.

Bereits die gestrigen Vorträge zeigten, was Deutschland von den weltweiten Erfahrungen und Ansätzen eines besseren und bürgernäheren Zugangs zum Recht lernen kann. Ob es um einfachere und visualisierte Verträge (z.B. wie der Südafrikaner Robert de Rooy von Comic Contracts berichtet) oder um bürgerzentrierte Lösungen von einfachen Rechtsproblemen geht (wie Georges Clement von Justfix aus New York berichtet), eines haben diese weltweiten Innovationen gemeinsam: sie nutzen (Legal) Design Thinking als Methode, um zunächst den jeweiligen Nutzerbedarf zu eruieren. Erst wenn dieser Bedarf verstanden wird, können Institutionen oder auch privatwirtschaftlich organisierte Initiativen die richtigen Lösungen entwickeln, die nützlich und einfach zu bedienen sind.

Wie innovativ und fortschrittlich Deutschland hier im Moment ist, hat der virtuelle Zivilgerichtstag am 02.Februar 2021 gezeigt. Dort wurde vor allem über ein Thesenpapier der OLG Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“ diskutiert. Es setzt sich damit auseinander, wie die Reform der Zivilgerichte aussehen müsste, damit sie bürgernaher werden und Zivilverfahren durch digitale Angebote beschleunigt werden könnten. Das Thesenpapier enthält u.a. Vorschläge für ein Onlineportal für Mahnverfahren, ein bundesweit einheitliches elektronisches Bürgerportal, sowie reine Online-Verfahren und den Einsatz künstlicher Intelligenz im Kostenfestsetzungsverfahren. Mit ihrer durchaus kritischen Haltung gegenüber einer eher schnellen digitalen Lösung hat Frau Bettina Limpberg, die Präsidentin des BGH, meines Erachtens mit vor allem zwei ihrer Aussagen ins Schwarze getroffen:
„Bei der Digitalisierung der Justiz muss der Mensch im Mittelpunkt stehen und Technik nur dort eingesetzt werden, wo es Sinn macht.“

Und „Technik sollte nicht aus einem Mangel in der Justiz eingesetzt werden (Anm.: z.B. zu geringe Richterstellen). Wir müssen vielmehr erst besser verstehen, was im Sinne einer bürgernahen Justiz für die Bürger wichtig ist.“

Für mich als Legal Designerin könnte dieser Gedanke nicht richtiger sein: Wir sollten uns tatsächlich im Rahmen einer umfassenden Untersuchung aller Betroffenen (Designer nennen so etwas auch „deep user research“) damit auseinandersetzen, welchen Bedarf die einzelnen Stakeholder im Zusammenhang mit Zivilverfahren haben. Dazu gehören natürlich die Bürger, aber auch die Anwälte (die für das jetzige Thesenpapier übrigens nur geringfügig involviert wurden) sowie weitere Akteure und jeweils Betroffene. Auf Grundlage der Erkenntnisse einer umfassenden Untersuchung könnte viel besser entschieden werden, wo Zivilrechtsverfahren aus Beteiligtensicht Schwachstellen aufweisen und wo ggf. digitale Lösungen sinnvoll wären. Diese könnte man in einem zweiten Schritt in Form von Prototypen entwickeln, testen und bis zur Implementierung so lange verbessern, bis sie den vorher untersuchten Bedarf wirklich lösen.

Zu diesem Vorgehen passen aus meiner Sicht auch die Vorschläge von Cord Brügmann, dem einzigen Anwalt in der Diskussionsrunde letzte Woche. Er trug vor, dass:

  • Anwälte UND Richter als Teil der Rechtspflege gemeinsam an den Lösungen arbeiten sollten (ich plädiere sogar dafür, den Stakeholderkreis hier noch größer zu ziehen, s.o.),
  • noch einmal überlegt werden solle, ob eine hohe Investition in ein staatliches Angebot für „kleine Verbraucheransprüche“ den richtigen Schwerpunkt setzen (wie z.B.in Kanada) oder ob bereits bestehende private Anbieter wie zB. flightright u.ä. einfach akzeptiert werden sollten.
  • sich hinter dem Stichwort „Zugang zum Recht“ mehr als der Zugang zu Gerichten verberge. Um dieses Ziel umfassend und gut in den Griff zu bekommen, benötige es nach Ansicht Brügmanns einen starken Moderator, der sich dafür einsetzt. Seinen Vorschlag, dafür ein eigenes Wissenschafts- und Forschungsinstitut zu gründen, das sich dogmatisch und analytisch des Prozesses annimmt, halte ich für eine sehr gute Idee. Genauso ein Institut könnte nämlich den oben genannten Faden eines deep user research als Einstieg in die Lösung des umfassenden Themas „Zugang zum Recht“ aufgreifen. Ich persönlich würde als Vorgehensmethode für so ein Institut Legal Design bzw. Design Thinking vorschlagen. Hier sei i.Ü. bemerkt, dass das veröffentlichte Grundlagenpapier bereits jetzt Elemente dieser Vorgehensweise enthält, nämlich: dass z.B. bestimmte Gesetzesvorhaben vor Einführung einen Raum zum Ausprobieren bekommen sollen. Ganz im Sinne des Prototypisierens, Testens und Iterierens im Design Thinking Prozess.
  • Schließlich fand ich das Ziel, das Cord Brügmann vorbrachte auch überzeugend, dass der politische Wille dahin gehen müsse, dass sich die Deutsche Rechtspflege mit einer solchen Reform durchaus international an die Spitze setzen sollte (Stichwort Benchmark).

LEGAL DESIGN LAB for GERMANY

Die Diskussion hat einen starken Anfang genommen und ich plädiere dafür, dass wir in Deutschland so etwas wie ein „Legal Design Lab“ gründen sollten, das sich umfassend mit den oben aufgeführten Themen befasst. Ich hätte jedenfalls größte Lust daran, so etwas mit aufzuziehen und zu begleiten. Anregungen gibt es weltweit – wie zum Beispiel beim eingangs erwähnten Innovating Justice Forum HiiL 2021.

Autorin: Astrid Kohlmeier

Foto: © Innovating Justice Forum

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