Fachartikel

Zehn Vorschläge zur Entwicklung digitaler Kompetenzen zwischen juristischer Ausbildung und Anwaltschaft

Dieser Beitrag gliedert sich in zwei Teile: Teil eins findet sich hier im Legal Tech Verzeichnis Magazin und Teil zwei in der Ausgabe 1/24 des Cologne Technology Review & Law (CTRL). Der erste Teil bespricht, wie sich digitale Kompetenzen zwischen juristischer Ausbildung und Anwaltschaft entwickeln können. Teil zwei erklärt, wie Studierende GPTs nutzen können.

Der Wunsch nach digitalen Kompetenzen

Um zu beantworten, wie sich digitale Kompetenzen im Zusammenspiel von juristischer Ausbildung und Anwaltschaft entwickeln können, fangen wir von vorn an: Wie stark ist überhaupt der Wunsch nach digitalen Kompetenzen? Im Jahr 2022 rief iur.reform u. a. im Legal Tech Verzeichnis zum datenbasierten Diskurs auf, um Reformen der juristischen Ausbildung anzustoßen. Ebendort stellte iur.reform dann im Mai 2023 die Thesen und Zahlen zum Diskurs vor, oder m. a. W.: die größte Studie zur Reform der juristischen Ausbildung in der Geschichte Deutschlands. Dieser Beitrag geht nun den nächsten Schritt: Er bespricht eine der zentralen Implikationen der Studie, nämlich: die Dringlichkeit, Digitalisierungskompetenzen zu entwickeln. Diese Dringlichkeit zeigt sich vorwiegend an dem Wunsch, Legal Tech Inhalte ins Studium zu integrieren (absolute Mehrheit der Abstimmenden der iur.reform-Studie sind dafür, 57 %). Bei der Auswertung der These zu Legal Tech Inhalten fielen dann zwei Aspekte auf: In keinem Bundesland rutscht die Zustimmung zu Legal Tech unter die Grenze einer absoluten Zustimmung. Und bei Rechtsanwält:innen und Studierenden lag stets eine absolute Mehrheit für diese These vor, was bei Richter:innen, Staatsanwält:innen, Professor:innen und JPA-Mitarbeitenden nicht der Fall war – z. B. die absolute Zustimmung erreicht bei JPA-Mitarbeitenden den Tiefstand mit 12,9 %. Aber wie lässt sich die Legal Tech Affinität von Jurastudierenden und Anwält:innen in allen Bundesländern zusammenführen?

Zehn Vorschläge zur Entwicklung digitaler Kompetenzen

Die zentrale Möglichkeit, Anwaltschaft und Ausbildung zusammenzuführen, ist der Wissenstransfer (siehe unten: Zehn Vorschläge zur Entwicklung digitaler Kompetenzen). Zum Beispiel gingen zahlreiche Legal Tech-Unternehmen aus einer studentischen Idee in Kombination mit anwaltlicher Praxis hervor. Beispiele dafür lauten: RightNow (Durchsetzung von Verbraucheransprüchen), iur.crowd (Urteilsdatendatenbank), Legal OS (Dokumentenerstellung per No-Code-Verfahren), twinwin (Legal Tech für HR) oder ContractHero (Vertragssoftware). Doch diese Unternehmen haben sich eher zufällig aus der juristischen Ausbildung in die anwaltliche Praxis hineinentwickelt. Daher haben Universitäten nun begonnen, Räume zu systematisieren, die Legal Tech Inhalte, Studierende und Anwält:innen zusammenbringen. Beispiele sind Studiengänge wie die LL.Ms. in Legal Tech (Universität Regensburg), in Rechtsinformatik (Universität Passau), in Digitalization and Law (Julius-Maximilians-Universität Würzburg) oder in Informationstechnologie und Recht (Universität des Saarlands). Dort kommt ein hoher Anteil der Lehrenden aus der Anwaltschaft. Andere Räume der Begegnung von Ausbildung, Anwaltschaft und Legal Tech sind das Bucerius Summer Program in Legal Technology and Operations oder die Schwerpunktstudien wie an der Universität Osnabrück (Digital Law – Recht in der digitalen Gesellschaft). Doch das reicht nicht. Zwar gibt es den abstrakten Wunsch nach Legal Tech Inhalten laut der iur.reform-Studie und nunmehr erste Initiativen in der Universitätslandschaft. Aber vor allem in tatsächlicher Hinsicht hinkt Deutschland hinterher: Zum Beispiel zeigt die Londoner Legal Tech-Start-up Map größere Legal Tech-Start-ups und systematisiert diese. Leider fehlen dabei deutsche Akteure. Wie also kann man juristische Ausbildung und Anwaltschaft noch näher zusammenbringen, um hier in Zukunft mithalten zu können? Hierzu zehn Vorschläge:

1. Entwicklung von IT Law Clinics und Legal Tech Mentoring, um Räume für Kooperationen zwischen Studierenden und Anwälten zu schaffen sowie erste Ideen für Ausgründungen zu liefern (z. B. The Cyber Law Clinic an der Université Catholique de Lyon).

2. ECTS-Punkte im Bereich Legal Tech, um den LL. B. erwerben zu können (z. B. durch Pflichtpraktika oder Werkstudierendenjobs in IT Kanzleien).

3. Auslobung von Forschungsprojekten, Preisen und Abschlussarbeiten mit Legal Tech Kanzleien (z. B. Legal Tech-Preis des DAV).

4. Verpflichtende Integration von Legal Tech Kursen in das Schwerpunktstudium (z. B. Seminar Legal Tech und eJustice, Universitäts des Saarlandes).

5. Anerkennung von Legal Tech Online-Kursen und Zertifikaten bei der Anmeldung zum Staatsexamen (z. B. MIT Professional Certificate Program in Legal Tech in the Digital Era).

6. Interdisziplinäre Lehrstühle durch Zusammenarbeit der Rechtswissenschaft mit Informatikfakultäten (z. B. TUM Legal Tech Group).

7. Durch die Investitionsbanken geförderte Hackathons zur Entwicklung von Legal Tech Lösungen (z. B. Legal Hackathon 2024).

8. Aufbau eines Legal Tech Inkubators zur Unterstützung von Start-ups im rechtlichen Bereich (z. B. Berkeley SkyDeck).

9. Netzwerktreffen zum Austausch zwischen Studierenden, Lehrenden, Praktikern und Legal Tech-Unternehmen (z. B. Legal Tech NRW).

10. Förderung von Publikationen durch Studierende und junge Anwälte zu Legal Tech, um die Sichtbarkeit innovativer Ideen zu erhöhen.

Das Leitbild für die Ausbildung im Legal Tech Bereich

Das Leitbild aller Formate im Legal Tech Bereich muss Folgendes bleiben: Menschen sind nicht die besseren Maschinen, sondern die besseren Menschen. Das heißt, Ziel der obigen Vorschläge ist, repetitive Aufgaben zu minimieren und den Fokus auf die fachspezifischen Inhalte wie Subsumptionen zu legen (siehe für ein konkretes Curriculum Teil zwei des Beitrags in CTRL 1/24). Denn blickt man z. B. auf K. I.-Anwendungen, lassen diese keinen anderen Schluss zu. Sie umfassen heute bereits Rechtsrecherchen (z. B. ROSS Intelligence, Spellbook), Dokumentenerstellung (z. B. LegalRobot, DocuSign), Erstentwürfe für Vertragsanalysen (z. B. Kira Systems, LawGeex) und Formulierungsverbesserungen (z. B. Writefull, Grammarly Business) sowie Beweismaterialerfassung (z. B. Logikcull, Everlaw) oder Schriftsatzerstellung (z. B. Contract Express) – damit haben Jurist:innen mehr Zeit für komplexe Arbeiten. Und genau die sollten Inhalt künftiger Kooperationen zwischen juristischer Ausbildung und Anwaltschaft sein. Schließlich basieren alle technischen Ausgaben auf bereits existierenden Texten, was nicht nur Urheberrechtsfragen aufwirft, sondern auch die Notwendigkeit des Menschen im Rechtssystem der Zukunft zeigt.

Autorin: Sophie Dahmen ist Mitgründerin und Vorstandsvorsitzende der iur.reform, hat zuvor Rechtswissenschaften in München und Berlin studiert sowie nach dem ersten Examen eine Ausbildung zur Mediatorin absolviert. Sie befindet sich im juristischen Vorbereitungsdienst in Brandenburg, mit Stationen unter anderem im Jugendgefängnis und beim Honorarkonsulat in Haifa, Israel.

Autor: Arne P. Wegner hat Psychologie und Rechtswissenschaft in Berlin, Cambridge, Genf und Manila studiert. Er ist Promotionsstipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes (Paris 1), Stabsoffizier (d. R.), Mitglied von iur.reform und beendete 2023 sein Rechtsreferendariat bei Freshfields in Brüssel zum DMA, bei der Europäischen Kommission zum K.I. Akt sowie im Bundeskanzleramt.

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